1. KAPITEL
„Eine Erhöhung? Sie bitten uns tatsächlich um eine Erhöhung?“ Claudia sah die jüngere Frau vor ihr geschockt an. „Ich finde, wir sind zu Ihnen schon mehr als großzügig gewesen. Sie bekommen außer freier Kost und Logis auch noch ein Taschengeld. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass Sie zu zweit sind!“
„Aber ich arbeite oft sechs Tage in der Woche“, erwiderte Angie verlegen, „und nachts passe ich auf die Kinder auf …“
Die schick gekleidete, dunkelhaarige Frau bekam vor Ärger rote Wangen. „Ich kann es einfach nicht glauben“, meinte sie hitzig. „Sie kümmern sich hier ein wenig um den Haushalt und die Kinder. Warum sollten Sie nachts nicht babysitten? Schließlich müssen Sie sowieso bei Ihrem Jake bleiben. Wirklich, Angie, ich verstehe nicht, wie Sie nach allem, was wir für Sie getan haben, so undankbar sein können!“
„Es ist nur sehr schwierig, mit dem wenigen Geld auszukommen“, wandte Angie zaghaft ein, wobei sie sich zutiefst erniedrigt vorkam.
„Nun, ich weiß nicht, was Sie mit Ihrem Gehalt anstellen, wo wir doch für Ihren Unterhalt aufkommen“, erwiderte ihre Arbeitgeberin spitz. „Was ich allerdings weiß, ist, dass mein Mann George äußerst pikiert über Ihre Forderung sein wird.“
„Es war keine Forderung, sondern eine Bitte.“
„Nun, die Bitte ist abgelehnt“, sagte Claudia barsch und marschierte zur Küchentür. „Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, Angie. Sie haben hier wirklich einen leichten Job. Ich wünschte nur, jemand würde mich dafür bezahlen, zu Hause bleiben zu dürfen und ab und zu die Geschirrspülmaschine auszuräumen! Wir haben Sie und Jake wie Familienangehörige behandelt. Und glauben Sie ja nicht, dass jemand anderes auch nur in Erwägung gezogen hätte, ein schwangeres Au-pair-Mädchen anzustellen!“
Angie schwieg. Es gab auch nichts mehr dazu zu sagen, sonst riskierte sie womöglich, entlassen zu werden. Doch sie arbeitete weit härter, als es Au-pair-Mädchen gewöhnlich tun. Mittlerweile war aus der stundenweisen Beschäftigung ein Fulltime-Job geworden.
Während ihrer Schwangerschaft war sie froh gewesen, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, und deshalb hatte sie auch dieses Taschengeld statt eines richtigen Gehalts akzeptiert. Aber jetzt konnte sie nur den Kopf darüber schütteln, wie naiv sie damals gewesen war. Sie hatte sich tatsächlich vorgestellt, nur so lange für die Dicksons zu arbeiten, bis das Baby geboren war, um sich dann eine andere Bleibe und einen gut bezahlten Job zu suchen.
Doch als Angie mit der Zeit feststellen musste, wie viel Geld es kostete, ein Kind großzuziehen und sich in einer teuren Stadt wie London eine vernünftige Wohnung zu mieten, war dieser Glaube Stück für Stück zerschmettert worden. Im Augenblick blieb ihr nur die Wahl, weiterhin bei den Dicksons zu bleiben oder den Gang zum Sozialamt anzutreten.
„So, reden wir also nicht mehr darüber“, meinte Claudia betont großzügig. „Könnten Sie jetzt damit anfangen, die Kinder zu baden? Es ist schon fast halb sieben, und die Kleinen sind immer so aufgedreht, wenn sie übermüdet sind.“
Bis Angie die Kinder endlich im Bett hatte, waren zwei Stunden um und Claudia und George längst außer Haus zum Dinner gegangen. Sophia, sechs Jahre alt, und die vierjährigen Zwillinge Benedict und Oscar waren liebenswerte Kinder, die massenweise Spielzeug, jedoch wenig elterliche Zuwendung bekamen. George, ihr Vater, war Bezirksrichter und beruflich viel unterwegs, während Claudia als erfolgreiche Geschäftsfrau ihr Büro kaum jemals vor sieben Uhr abends verließ.
Gerade als Angie noch einmal nach ihrem Sohn sah, von dem nur der dunkle Lockenschopf unter der Bettdecke hervorschaute, klingelte es.
Rasch strich sie sich das hüftlange platinblonde Haar zurück und lief dann die Treppe hinunter. „Wer ist da?“, fragte sie atemlos in die Sprechanlage.
„Angie …?“
Geschockt fuhr sie zurück. Die Stimme, rau wie Sandpapier und mit leichtem griechischem Dialekt, hatte sie bis ins Mark erschüttert. Seit über zwei Jahren hatte sie diesen sexy Tonfall nicht mehr gehört, und die Erinnerung daran erfüllte sie jetzt mit Panik.
Wieder ertönte die Klingel.
„Lass das, du weckst noch die Kinder!“, rief Angie ins Mikrofon.
„Mach die Tür auf“, entgegnete Leo.
„Ich … ich darf nachts nicht öffnen, wenn ich allein im Haus bin! Ich habe keine Ahnung, was du willst, oder wie du mich gefunden hast, aber es ist mir auch egal. Verschwinde einfach!“
Statt einer Antwort klingelte es zum dritten Mal.
Frustriert lief sie zur Tür und entriegelte sie.
„Danke“, sagte Leo kalt.
Bei seinem Anblick klopfte Angie das Herz bis zum Hals. „Du kannst nicht hereinkommen …“