: Fjodor M. Dostojewski
: Schuld und Sühne
: mehrbuch
: 9783967993011
: 1
: CHF 1.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 220
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kann man das perfekte Verbrechen begehen? Gibt es so etwas wie einen 'gerechten Mord', der zwar eine Person das Leben kostet, dafür aber vielen anderen Menschen nützt?Lässt sich das menschliche Gewissen durch rationale Überlegungen zum Schweigen bringen?Diesen Fragen spürt Fjodor M. Dostojewski in seinem Roman Schuld und Sühne nach. Das hierzulande bekannteste und beliebteste Werk des russischen Autors schildert in einer meisterlich aufgebauten Kriminalgeschichte den Mord des Studenten Raskolnikow an einer alten Pfandleiherin und die anschließenden Gewissensqualen des Mörders. Raskolnikow hält sich für eine Art Übermensch, er vergleicht sich mit Napoleon und sucht seine Tat mit rationalen Argumenten zu rechtfertigen. Doch nach dem Mord schlittert er in eine langsame, nagende Verzweiflung, die sein schlechtes Gewissen verursacht. Die tugendhafte Prostituierte Sonja kann ihn schließlich dazu überreden, seine Schuld einzugestehen und ein neues Leben zu beginnen. Dostojewski schildert, dem russischen Realismus verpflichtet, das soziale Elend auf den Straßen von St. Petersburg.In einer leicht verständlichen, zupackenden Sprache gelingt ihm der 'größte Kriminalroman aller Zeiten' (Thomas Mann) und gleichzeitig eine packende Psychostudie, die die Abgründe in der Seele eines Mörders ausleuchtet.

Fjodor Michailowitsch Dostojewskij (1821-1881) zählt zu den bedeutendsten Dichtern der Weltliteratur. Er war der Sohn eines Armeearztes aus Moskau. Nach kurzer Tätigkeit als technischer Zeichner im Kriegsministerium wurde er freier Schriftsteller. Vier Jahre Zwangsarbeit als politischer Häftling und beständige Geldnot wegen seiner Spielleidenschaft zeichnen den unermüdlich Schaffenden. St. Petersburg wird die zweite Heimat dieses bedeutendsten russischen Realisten und Hauptschauplatz seiner berühmtesten Romane, die bis heute weltweit bewundert und gelesen werden.

Erster Teil


I

Anfang Juli, in der heißesten Jahreszeit, am Spätnachmittag trat ein junger Mann aus seiner Kammer, die er als Aftermieter in der S-schen Gasse bewohnte, auf die Straße und begab sich langsam, gleichsam unentschlossen zu der K–schen Brücke.

Es gelang ihm, eine Begegnung mit seiner Wirtin auf der Treppe zu vermeiden. Seine Kammer befand sich dicht unter dem Dache eines hohen, vierstöckigen Hauses und sah mehr einem Schrank als einer Wohnung ähnlich. Seine Wirtin aber, bei der er diese Kammer mit Mittagessen und Bedienung mietete, hauste eine Treppe tiefer in eigener Wohnung, und wenn er ausging, mußte er jedesmal an der Küche der Wirtin mit der immer weit offenstehenden Tür vorbeikommen. Jedesmal, wenn der junge Mann an der Küche vorbeiging, überkam ihn ein krankhaftes, feiges Gefühl, dessen er sich schämte und vor dem er das Gesicht verzog. Er schuldete seiner Wirtin viel Geld und fürchtete, ihr zu begegnen.

Er war gar nicht so feige und eingeschüchtert, sogar im Gegenteil; doch seit einiger Zeit befand er sich in einem Zustande von Reizbarkeit und Spannung, der an Hypochondrie erinnerte. Er hatte sich dermaßen in sich selbst vertieft und von allen Menschen zurückgezogen, daß er jede Begegnung, nicht nur die mit seiner Wirtin, fürchtete. Er war von Armut erdrückt; aber selbst diese bedrängte Lage machte ihm in der letzten Zeit wenig Schmerzen. Seinem Tagewerk ging er in der letzten Zeit nicht mehr nach und wollte ihm auch gar nicht nachgehen. Im Grunde hatte er vor keiner Wirtin Angst, was sie gegen ihn auch im Schilde führen mochte. Doch auf der Treppe stehen zu bleiben, jedes Geschwätz über diese alltäglichen Kleinlichkeiten, um die er sich absolut nicht kümmerte, alle diese zudringlichen Vorstellungen wegen der Bezahlung, die Drohungen und Klagen anzuhören und sich dabei selbst herauszuwinden, zu entschuldigen und zu lügen – nein, es ist schon besser, wie eine Katze die Treppe hinunterzuschleichen und, von niemand gesehen, zu verschwinden.

Diesmal mußte er übrigens selbst, als er schon auf der Straße war, über seine Angst vor einer Begegnung mit seiner Gläubigerin staunen.

»So eine Sache will ich unternehmen und habe dabei Angst vor solchem Unsinn!« sagte er sich mit einem seltsamen Lächeln. »Hm ... ja ... alles hat der Mensch in seiner Hand, und alles läßt er sich entgehen aus bloßer Feigheit ... das ist ein Axiom ... Es ist interessant, was die Menschen mehr als alles fürchten! Einen neuen Schritt, ihr eigenes neues Wort fürchten sie am meisten ... Übrigens schwatze ich zu viel. Darum tue ich auch nichts, weil ich nur schwatze. Vielleicht ist es auch so: ich schwatze, weil ich nichts tue. Dieses Schwatzen habe ich mir im letzten Monat angewöhnt, als ich tagelang in meinem Loche lag und an ... des Kaisers Bart dachte. Nun, warum gehe ich jetzt? Bin ich denndazufähig? Ist denn das ernst gemeint? Gar nicht ernst. Eine Phantasie, um mich selbst zu unterhalten; Spielerei? Ja, vielleicht, es ist wirklich nur eine Spielerei!«

Draußen war es furchtbar heiß, dazu auch schwül; ein Gedränge; überall Kalk, Baugerüste, Ziegelsteine, Staub und jener eigentümliche sommerliche Gestank, welchen jeder Petersburger kennt, der nicht in der Lage ist, aufs Land zu gehen, – dies alles erschütterte auf einmal die auch ohnehin schon zerrütteten Nerven des jungen Mannes. Der unerträgliche Gestank, der aus den Kneipen drang, die in diesem Stadtteile besonders zahlreich sind, und die vielen Betrunkenen, denen er, obwohl es ein Wochentag war, auf Schritt und Tritt begegnete, vervollständigten das abstoßende, traurige Bild. Über die feinen Gesichtszüge des jungen Mannes glitt der Ausdruck eines tiefen Ekels. Übrigens war er ungewöhnlich hübsch, über das Mittelmaß groß, schlank und geschmeidig und hatte schöne dunkle Augen und dunkelblondes Haar. Bald versank er in tiefe Nachdenklichkeit, eigentlich sogar in eine Ohnmacht, und bemerkte im Gehen nichts von allem, was ihn umgab, und wol