: Sybille Bedford
: Ein trügerischer Sommer Roman
: Piper Verlag
: 9783492991346
: 1
: CHF 8.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Elegant und scharfzüngig - Sybille Bedford nimmt die mondäne Gesellschaft Ende der Zwanzigerjahre in Europa aufs Korn und zeigt ganz nebenbei, wie tief die Abgründe der Verführbarkeit sein können. Ende der Zwanzigerjahre war Europa ein Ort der Hoffnung. Jedenfalls für die 17-jährige Flavia, die sich einen Sommer lang an der Côte d'Azur einrichtet, um für ihren Studienplatz in Oxford zu büffeln. Noch ahnt sie nicht, welche Ablenkungen auf sie warten ...  »Leicht, witzig, gehaltvoll, wehmütig - groß.« Frank Goosen in der Frankfurter Rundschau

Sybille Bedford, geboren 1911 in Berlin als Tochter des Barons von Schoenebeck und seiner englischen Gattin, wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Als junges Mädchen lebte sie mit ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann, einem Italiener, an der Côte d'Azur, dem Zufluchtsort für viele europäische Künstler und Intellektuelle der Zeit. Alle ihre Romane und Reiseerzählungen schöpfen aus ihrem reichen biographischen Hintergrund. Sybille Bedford hat außerdem viele Jahre als Gerichtsreporterin berühmten Prozessen beigewohnt und darüber für Esquire und Life berichtet. Sie starb 2006 in London.

Prologe


Die entscheidenden Fragen ergaben sich natürlich durch Zufall.

Der Mann von der Zeitung sagte: »Die Zwanziger, das war Ihre Zeit, Miss Herbert, oder?Miss Herbert ist doch richtig?«

»Nein, eigentlich Mrs.«, sagte Flavia.

»Sie kannten viele der zeitgenössischen Schriftsteller?«

»Meine Güte, nein. Ich war noch ein Kind. Lebte den größten Teil des Jahres bei meiner Großmutter. In Italien.«

»Sollen wir dann sagen, die Dreißiger?«

»Damals wurde ich erwachsen. In den Dreißigern wurde ich erwachsen. Ich wurde volljährig, als Hitler im Rheinland einmarschierte.«

»Ach ja?« sagte der junge Mann. »Aber Sie haben doch über die Zwanziger geschrieben?«

»Über die Vergangenheit anderer Menschen. Die scheint einem ja immer klarer zu sein.«

»Stimmt es, dass Ihre Großmutter eine Herzogin war, Mrs. Herbert?«

»Nein.«

»Ihre Leser wüssten es gern.«

»Ihre Leser.«

»Mrs. Herbert«, sagte er ernst, »unsere Leser sind potenziell Ihre Leser.«

»Was für eine reizende Aussicht, wo Sie doch so viele haben.«

»Danke.«

Flavia warf ihm einen Blick zu, spöttisch, distanziert, freundlich. »Meine Großmutter war Amerikanerin.«

»Oh.«

»Sie war eine Miss Howland und kam aus Neuengland, aus Rhode Island.«

»Ja?«

»Ja.«

»Dann hat sie wohl geheiratet.«

Entschiedener nun sagte Flavia: »Sie ist seit fünfunddreißig Jahren tot.« Dann fügte sie hinzu: »Ja, sie war verheiratet.«

»Ich versuche bloß, mehr über Ihre internationale Herkunft hineinzubringen.«

Flavia sagte nichts.

Er sah nicht so aus, als gebe er sich damit zufrieden.

»Als verfrühte Europäerin?«

»Aber geboren sind Sie in England?«

»In England. Ich musste erst einmal über den Ärmelkanal.«

»Ihr Vater?«

»War Jurist und wurde Parlamentsabgeordneter, falls das etwas über ihn aussagt. Das interessiert doch heute niemanden mehr. Er ist früh gestorben. Viel zu früh.«

»Hat er nicht all seine Bilder dem Staat vermacht?«

»Ja, sie sind an den Staat gegangen.«

Irgendetwas veranlasste ihn zu fragen: »Sie kannten Ihren Vater? Sie waren alt genug?«

»Nein.« Obwohl ich alt genug war, fügte sie nicht hinzu.

»Und wo sind Sie zur Schule gegangen, Mrs. Herbert?«

»Zu Hause. Nicht, dass wir eines hatten. Es lief … nicht immer alles glatt.«

»Aha?«

»Glücklicherweise hatte ich ein paar kluge Freunde.«

»Studiert?«

»Nicht studiert«, sagte Flavia.

»Die klugen Freunde …?«

»Älter als ich.«

»Wie kam’s?«

»Es ergab sich. Durch die Umstände.«

»Meines Wissens lebten Sie als Heranwachsende in Frankreich. Im Süden Frankreichs.«

»Ja, in Frankreich.«

»Das muss doch ein wunderbares Leben gewesen sein.«

»Wissen Sie, was? Auf eine Weisewar es das.« Flavia stand auf, durchquerte das Zimmer und setzte sich in einen anderen Sessel. Das war eine An