Geburt
„Guten Tag, ich bin …“
Damit fängt meine Geschichte an. Ich habe viele Namen bekommen: Bashir, Abdulrahman, Naif, Mouawiya. Ehrlich gesagt: Mir gefällt keiner davon. Aber niemand kann sich seinen Namen aussuchen, die Eltern bestimmen ihn.
Ich habe viele Eltern. Vielleicht genauso viele, wie ich Namen habe. Nein, das stimmt nicht. Ich habe eine Mutter und einen Vater wie alle anderen. Nur waren sie zur Zeit meiner Geburt Tausende Kilometer oder mehr voneinander entfernt. Das soll im Februar oder März 2011 gewesen sein, so genau weiß ich das nicht. Ich war damals 13 Jahre alt oder zehn, manche meinen 14, auf jeden Fall unter 17, da sind sich alle einig.
Mein Vater kam ein paar Monate zuvor nach Syrien. Ich weiß nicht viel von ihm, nicht einmal, was er genau dachte. Er suchte in Daraa nach Hinweisen auf Thomas Edward Lawrence, der dort vor hundert Jahren den Aufstand der Beduinen angeführt haben soll. Mein Vater hatte Geschichte studiert und schrieb seine Doktorarbeit über den berühmten Lawrence von Arabien, den er heimlich verehrte. Für mich hat mein Vater kein Gesicht und keinen Namen. Er reichte mich an meine Mutter weiter, die er aus dem Studium kannte. Sie hat mich in die Welt gesetzt, nicht einfach geboren, so wie Frauen seit Anbeginn ihre Kinder bekommen, sondern hineingeworfen ins Leben hat sie mich, ohne dass ich darauf vorbereitet war. Wie sollte sie ihren Jungen auch darauf vorbereiten, was später mit ihm passierte? Sie hat es nicht böse gemeint, sie wollte nur, dass es mich gibt.
Zurück zu meinem Vater. Bevor er mir begegnet ist, war er fasziniert von der ländlichen Gesellschaft in Daraa. In der umliegenden Region wurden vor allem Weizen und Gerste angebaut. Die Stadt hatte einen Markt und eine Moschee. Was für ein Treiben muss das gewesen sein. Ich vermute, mein Vater hat nichts davon verstanden, aber er liebte die Einfachheit, die er romantisch verklärte, und den persönlichen Handel bei einem Glas Tee, den er mit Freundschaft verwechselte. Er fühlte sich in eine alte Zeit versetzt, während um ihn herum die Gesellschaft schon im Verfall begriffen war. Die Menschen murrten, sie waren nicht mehr einverstanden mit der Regierung. In der Moschee redeten die Männer miteinander. Die Hälfte von ihnen hatte keine Arbeit. Große Trockenheit führte zu schlechten Ernten. Die Preise stiegen. Viele flüchteten vom Land in die Städte. Es gab nicht ausreichend zu essen und zu trinken. Die Menschen litten