Dr. Norden hatte einen besonders anstrengenden Vormittag hinter sich, weil ihn zweimal Notfälle aus der Praxis geholt hatten. Nun warteten noch zwei Patienten, als von der Leitner-Klinik angerufen wurde. Es war Dr. Hans Georg Leitner selbst, der ihn zu sprechen wünschte.
»Bitte, komm sobald wie möglich her, Daniel. Es geht um Frau Cortis. Du kennst sie doch sehr gut.«
»Natürlich, ich habe sie zu dir geschickt. Was ist mit ihr?«
»Sie ist in einem schlechten Zustand. Anscheinend wird es zu einer Frühgeburt kommen. Ich möchte dir alles persönlich erklären.«
»Muß ein verflixter Tag sein«, meinte Daniel. »Bei mir geht es wild zu. Ich habe jetzt noch zwei Patienten, aber wenn es dringlich ist, schaue ich, daß ich schnell fertig werde. Wegschicken kann ich sie nicht. Sie warten schon zu lange.«
»Dann auf bald.«
Dr. Norden wußte, daß Schorsch Leitner ihn nicht wegen einer Bagatelle rufen würde, und so gelang es ihm dann, die beiden Patientinnen schnell mit Rezepten zu versorgen, denn schwerwiegend war ihre Erkrankung nicht.
Er sagte Dorthe Bescheid, daß sie seine Frau verständigen solle und fuhr dann sofort los.
Er erinnerte sich recht deutlich an Corinne Cortis, obwohl es schon vier Monate zurücklag, daß sie bei ihm gewesen war. Sie war bereits im dritten Monat schwanger, hatte aber gemeint, daß etwas anderes vorliegen müsse, da ihr erst kürzlich ein anderer Arzt gesagt hatte, daß sie wahrscheinlich keine Kinder bekommen könnte. Nun, täuschen konnte sich auch der beste Arzt. Solche Fehldiagnosen wollte Daniel keinem ankreiden.
Corinne Cortis war nicht nur eine attraktive, sondern auch eine beruflich sehr erfolgreiche Modefotografin. Als diese arbeitete sie aber noch unter ihrem Mädchennamen Conrady. Seit drei Jahren war sie mit dem Redakteur Martin Cortis verheiratet. Sie hatten sich nicht unbedingt ein Kind gewünscht, aber sie freute sich, als ihr die Schwangerschaft bestätigt wurde, und Dr. Leitner war auch mit ihrem Allgemeinzustand zufrieden gewesen.
Jetzt erfuhr Daniel Norden von Schorsch Leitner, daß sie seinerzeit keine Ultraschalluntersuchung hatte vornehmen lassen und bei ihm auch nicht zu Kontrolluntersuchungen gewesen war, da sie die meiste Zeit auf Reisen war.
»Und du bist sauer«, sagte Daniel. »Weshalb?«
»Ich bin nicht sauer, ich bin besorgt, sehr besorgt. Als sie heute morgen kam, dachte ich, sie hätte das Kind verloren. Man sieht ihr nicht an, daß sie im siebten Monat ist. Sie wirkte so ausgesprochen desolat. Diesmal machte ich daher eine Ultraschalluntersuchung und stellte fest, daß das Kind schwer geschädigt ist.«
»O Gott«, murmelte Daniel bestürzt. »Weiß sie es?«
»Ich habe es ihr noch nicht gesagt. Sie hat nach dir gefragt, und ich wollte mich mit dir beraten, wie ich es ihr beibringen soll.«
»Das werde ich tun. Aber was willst du unternehmen?«
»Alles spricht dafür, daß sie bereits leichte Blutungen hatte. Du wirst sie sehen. Sie ist in einem desolaten Zustand.«
»Dann wirst du wohl etwas unternehmen müssen.«
Schorsch nickte. »Ich frage mich nur, wie es zu dieser Mißbildung kommen konnte, denn als ich sie untersuchte, war sie organisch völlig gesund, und jetzt hat sie Nierenfunktionsstörungen, die aber höchstwahrscheinlich mit der Schwangerschaft zusammenhängen.«
»Ich werde mit ihr reden«, sagte Daniel.
Als er dann an ihrem Bett stand und sie betrachtete, war er zutiefst erschrocken, denn sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Augen waren trübe, die Haut fahl, die Lippen blutleer.
»Dr. Norden, Sie sind da?« flüsterte sie, und ein Schluchzen klang mit. »Werden Sie auch böse auf mich sein?«
»Niemand ist böse auf Sie«, erwiderte er. »Wir sind besorgt.«
»Martin ist böse. Ich hätte eben kein Kind kriegen dürfen, hat er gesagt. Ich sollte ihn nach Sizilien begleiten, aber ich konnte nicht. Ich habe keine Kraft mehr. Wir waren drei Wochen auf Mauritius, und er ist gleich weiter nach Taormina. Wahrscheinlich ist mir das Klima nicht bekommen.«
»Nein, daran liegt es nicht, Frau Cortis. Ich muß Ihnen leider sagen, daß es höchstwahrscheinlich zu einer Frühgeburt kommen wird.« Er wollte so vorsichtig beginnen, um erst einmal ihre Reaktion zu sehen, aber von ihrem Gesicht war gar nichts mehr abzulesen.
»Ich habe mir schon Gedanken gemacht«, murmelte sie. »Anderen Frauen sieht man es zu dieser Zeit doch schon deutlich an, wenn sie ein Kind erwarten. Ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht, ob es nicht eine Allergie war damals, sondern Röteln. Ich habe einiges darüber gelesen und auch, daß sie manchmal nicht besonders stark sind.«
»Wann war das?« fragte er.
»Schon bevor Sie die Diagnose Schwangerschaft stellten. So vier Wochen vorher, aber ich habe mir keine Gedanken gemacht, weil man ja sagt, daß die Röteln bei Erwachsenen viel schlimmer auftreten und gefährlicher sind als bei Kindern.«
»Nun, es sind nicht alle Fälle gleich, aber Sie haben sicher einen Arzt konsultiert und irgendein Mittel gegen den Juckreiz bekommen.«
»Ja, das habe ich, es war unangenehm, so zu arbeiten. Wir waren an der Riviera, und der Arzt meinte, es sei eine Sonnenallergie.«
»Also keine typische Rötelerkrankung«, meinte Dr. Norden nachdenklich.
»Ich hege jetzt große Zweifel, denn es war derselbe Arzt, der auch sagte, daß ich wohl keine Kinder bekommen konnte, übrigens ein italienischer Arzt. Ich hatte zu di