Vielseitig einseitig
Einseitig hat als Wort einen negativen Touch.Vielseitig hört sich jedenfalls bedeutend besser an. Nun gut, das mag sein. Wir möchten Ihnen zeigen, dass Einseitigkeit etwas unglaublich Faszinierendes sein kann. Sogar dann, wenn das Thema mit der Mathe-Brille betrachtet wird.
Na, dann los. Starter, die Fahne!
Stellen Sie sich einen Würfel vor, einen ganz normalen Spielwürfel. Jeder weiß, dass der sechs Seiten hat. Ecken und Kanten natürlich auch, acht Ecken und zwölf Kanten. Das lässt sich leicht gedanklich abzählen. Jede Kante trennt zwei benachbarte Seiten.
Es gibt natürlich Objekte, die haben gar keine Ecken und nur eine Kante. Kreise zum Beispiel. Doch uns interessieren nicht die Ecken oder Kanten. Sondern die Seiten. Speziell und im wahrsten Sinne des Wortes die Einseitigkeit. Wenn ich etwas Kreisförmiges aus Papier ausschneide, dann entsteht eine Fläche, die zwei Seiten hat. Das scheint bei Flächen das Minimum zu sein.
Schwer vorstellbar, dass es Objekte mit nur einer Seite gibt, oder? Wie sollten die aussehen?
Weil die Frage schon im Raum steht, wollen wir sie gleich anpacken und die Antwort liefern. Wir basteln uns ein einseitiges Objekt. Beweisen durch Basteln. Hier kommt die Bastelanleitung.
Man nehme einen langen dünnen Papierstreifen. Der und ein bisschen Klebstoff genügen als Requisiten. Kleben Sie Ihren Papierstreifen entlang der Schmalseiten zusammen. Also fein säuberlich eine Schmalseite ein Stück weit über die andere legen und kleben. Dann haben wir … ach: ein Stück von einem Zylinder. Und der hat ja doch zwei Seiten! Eine Innenseite und eine Außenseite. Erster Versuch gescheitert. Aber es war ja erst der erste Versuch.
Alles auf Anfang. Nehmen Sie einen langen, dünnen Papierstreifen, führen Sie die beiden schmalen Enden aneinander. Bevor Sie sie etwas übereinanderlegen, verdrehen Sie das eine Ende um 180 Grad, also um eine halbe Drehung. Dann die Enden zusammenkleben. Fertig. Schneller als die Fünf-Minuten-Terrine.
Jetzt haben wir einen verdrillten Gegenstand vor uns. Wie sieht’s bei dem mit der Seitenanzahl aus? Die ist gar nicht so leicht festzustellen, aber wir haben einen Trick im Köcher. Nehmen Sie einen Stift, setzen Sie ihn irgendwo mittig auf den Streifen und ziehen Sie entlang der Mitte eine Linie. Einfach gnadenlos immer weiter ziehen, bis Sie wieder am Ausgangspunkt sind.
Wenn wir jetzt den Streifen inspizieren, ist die eingezeichnete Linie überall in der Streifenmitte vorhanden, egal, ob ich mir eine Stelle anschaue oder den Streifen umdrehe. Das kann nur eines bedeuten: Unser Objekt hat nur eine einzige Seite.
Ist das sicher? Ja, denn beim Zeichnen der Linie sind wir nie an den Rand gekommen, sind nie darüber hinweggegangen und haben anschließend auf dem gegenüberliegenden Stück weitergezeichnet. Es ist offensichtlich so: Setzen wir den Stift auf einem beliebigen Punkt der Fläche auf, erreichen wir durch Entlangfahren auf dem Streifen jeden beliebigen Punkt der Fläche einschließlich der gegenüberliegenden Punkte ohne Randüberquerung. Das kann nur bedeuten, dass das Ding einseitig ist. Wie krass ist das denn!!
Diese einseitige Fläche im dreidimensionalen Raum ist das Möbius-Band. Benannt wurde es nach dem Leipziger Mathematiker August Ferdinand Möbius (1790–1868), der sich 1858 intensiv damit beschäftigte. Um genau zu sein, wollen wir erwähnen, dass der Göttinger Mathematiker Johann Benedict Listing (1808–1882) dieses Band zwei Monate früher als Möbius beschrieb. Wahrscheinlich waren auch diese beiden Mathe-Macher nicht die Ersten, die einen Streifen Papier verdreht und zusammengefügt haben. Doch keiner hatte vor ihnen daraus ein mathematisches Forschungsobjekt gemacht.
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Das Möbius-Band ist das einzige bekannte Objekt im Universum, das nur eine einzige Seite hat. Ein super Alleinstellungsmerkmal!
Wäre das alles, was über Möbius-Bänder gesagt werden könnte, wäre es auch schon faszinierend genug. Doch wir wollen uns noch ein paar weitere Gedanken machen.
Und zwar erst mal fragen, ob das Ganze nur eine mathematische Kuriosität ist oder ob es vielleicht sogar praktische Anwendungen dafür gibt?
Nun, die gibt es schon lange. Eine stammt aus der Zeit der mechanischen Schreibmaschinen. Ein paar können sich vielleicht noch daran erinnern. Die Farbe für die Buchstaben auf dem Papier kam von einem Band auf einer Spule. War die Farbe auf der einen Bandseite aufgebraucht, mus