Man hat nicht immer vier Tage, um sich was zu trauen. Manchmal nicht mal vier Minuten. So wie vorletztes Jahr in Australien, ich war auf einer Pressereise, einer der Programmpunkte lautete »Schwimmen mit den Buckelwalen«. Große Aufregung im Vorfeld, eine Kollegin, hieß es, habe kurzfristig abgesagt, weil sie sich das doch nicht zutraute. Ich sagte selbstverständlich zu. Große Klappe erst, klar mache ich das, dann verstanden, dass Buckelwale die Maße eines Omnibusses haben und dich mit einem Flossenschlag umhauen können, aber das sei sehr unwahrscheinlich, las ich bei meinen gründlichen Recherchen. Je näher der Tag rückte, an dem wir aufs Meer fuhren, über uns Helikopter, die die Wale sichten sollten, umso nervöser wurde ich. Am Tag selbst war mir schlecht vor Aufregung, es gab Butterkekse und schwarzen Tee an Bord, die Neoprenanzüge wurden verteilt, meiner war zu weit, der zweite zu stramm, mein ganzer Körper sagte Nein, bevor es überhaupt losging. Meine Kolleginnen wirkten so aufgekratzt, als würden wir gleich in eine Outlet-Mall gehen, dabei ging es immer weiter aufs offene Meer. Der Himmel war dunkel, das Wasser war dunkel, ich war bleich. Bevor es losging, gab es eine Einweisung von einem jungen Typ, der offenbar ganzjährig allein auf dem Boot lebte, später scherzten seine weiblichen Kolleginnen, er habe Schwimmhäute zwischen den Fingern. Wir mussten ein Trockentraining absolvieren, in der Nähe des Bootes schnorcheln mit Flossen, um zu beweisen, dass wir die Basics draufhaben. Man bot mir eine Schwimmnudel an, weil ich offenbar so unsicher wirkte, als könne ich nicht mal schwimmen. Ich sagte: »Ich kann schwimmen, es ist nur so, dass ich Angst habe, auf dem offenen Meer zu schwimmen.« Was ich nicht erwähnte, war, dass ich mit sechs Jahren in den Sommerferien sechs Wochen lang täglich einen Schwimmkurs im Freibad absolviert hatte. Nach den sechs Wochen hatte ich meiner Mutter erklärt, es habe bloß deshalb so lange gedauert, bis ich schwimmen konnte, weil mich der böse Bademeister immer so ruppig von hinten an meinem Badeanzug hochgezogen habe, damit ich oben bleibe. Wenn jemand von außen eingreift in meine Welt, in meine Wahrnehmung, jemand sagt, wie ich es machen soll, wenn man mir nicht die Zeit und Zuversicht gibt, in einer mir angemessenen Geschwindigkeit meine eigenen Erfahrungen zu machen, werde ich unsicher. Braucht nicht jeder Vertrauen, um sich was zu trauen? Nicht nur Vertrauen in sich selbst, sondern auch von außen? Die Info, dass ich später nur das Seepferdchen ergattert hatte, weil auch die Schwimmlehrerin in der Grundschule ein alter Drache war, der Spucke in den Mundwinkeln hatte, einen Damenbart und eine moosgrüne Badeshorts aus Wolle trug, ließ ich auf dem australischen Dampfer unter den Tisch fallen. Auch scheiterte meine Schwimmkariere an meiner mangelnden Kooperation, als der Drache in rüdem Tonfall befahl, vom Dreimeterbrett zu springen. Ich stand dort oben, und drehte wieder um. Danach betrat ich nie wieder ein Dreimeterbrett. Hat man was verpasst, wenn man niemals von einem Dreimeterbrett gesprungen ist?
Die australische Meerjungfrau, die für unsere Truppe zuständig war, sah mich an, als hätte ich gesagt, ich könne nicht laufen, als ich die Sache mit dem offenen Meer zugab. Wir mussten im Vorfeld einen Fragebogen ausfüllen, ob und wie gut wir schwimmen könnten, ob es Probleme gebe mit »open waters«. Ich meine, was heißt das denn überhaupt »auf dem offenen Meer«, gibt es auch ein geschlossenes, fragte ich mich, während ich bereits mit