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Dass der Witz nicht nur eine Form populärkultureller Belustigung ist, sondern vielmehr eine gestalterische Leistung und ein unverzichtbarer Teil rhetorischer Kunst, ist ein Gedanke, der uns heute fremd erscheinen mag. Er war jedoch in den Rhetoriken der Antike sowie der frühen Neuzeit eine allgemein geteilte Überzeugung. Klaus-Peter Lange hat dem Thema der pointierten Formulierungen, der sogenannten »acutezze« bzw. »argutezze«, in der Rhetorik des17. Jahrhunderts bei Autoren wie Emmanuele Tesauro, Matteo Pellegrini und Balthasar Gracián eine schöne Studie gewidmet. Aristoteles hatte die Unterscheidung eingeführt zwischen einer »flachen«, klar, aber banal anmutenden Sprechweise und einer zwar etwas weniger klaren, dafür aber »erhabenen«, edel, fremd und mithin interessant und gefällig klingenden.[24] Zur letzteren zählen die Autoren des17. Jahrhunderts auch die gewitzten, mit »ingeniösen« Formulierungen, Metaphern und anregenden Schlussfolgerungen gewürzten Formen des Sprechens, deren Herstellungsverfahren sie untersuchen.[25] Als Antrieb zum pointierten Sprechen erscheint diesen Autoren die Gefahr der Langeweile – verstanden als »widerwillige Reaktion des Intellekts auf eine Welt, die ihm nichts zu tun gibt«.[26] Ein typisches Verfahren zur Vermeidung von Langeweile ist nach Auffassung Tesauros wie Pellegrinis die Verkürzung der Formulierung.[27] Dies ist, wie Sigmund Freud gezeigt hat, auch das typische Verfahren des Witzes.[28]
Zugleich stimmen die Autoren der Antike wie der frühen Neuzeit darin überein, dieser Sprechweise eine soziale Bestimmung zu geben: dieses gewitzte Sprechen wird als »urban« bezeichnet.[29] Es hat offenbar den Stadtstaat beziehungsweise die Polis zu seiner Entstehungsbedingung und zu seinem Lebenselement. Und es ist seinerseits konstitutiv für menschliche Geselligkeit[30] – wenn nicht sogar für das spezifisch Humane und das Glück der menschlichen Existenz.[31] Die ästhetischen und ethischen, ja sogar die politischen Dimensionen der »blitzenden« Sprechweise werden von den Autoren also sehr weitgehend ausgeleuchtet. Nicht allzu viel aber verraten sie über die uns beschäftigende Frage, ob das gewitzte Sprechen auch eine theoretische, auf die Produktion von Erkenntnis bezogene Dimension besitzt.
Immerhin bemerken die Autoren, dass die Metapher oft eine produktive Funktion besitzt – sie bezeichnet nicht nur etwas, das ebenso gut auch einfacher hätte benannt werden können, auf übertragene Weise; vielmehr wird die Übertragung gerade auch dort eingesetzt, »wo das eigentliche Wort fehlt«.[32] Dementsprechend beschreiben die neuzeitlichen Autoren, ähnlich wie auch Aristoteles,[33] den Scharfsinn, das »ingegno« (das Vermögen der pointierten Formulierung) als produktiv und schaffend, den klaren Verstand (die »prudenza« beziehungsweise das »giudicio«) hingegen als etwas, das lediglich bereits Bestehendes entdeckt.[34]
Dieses innovative Element des »ingegno« aber betrachten die Autoren kaum als etwas Erkenntnisförderndes. So setzen sie das ingeniöse Element als etwas vorwiegend Ästhetisches dem Intellekt als einem dem Erkennen verpflichteten Vermögen entgegen.[35] Hatte Aristoteles zwischen der »flachen« und der »ingeniösen« Sprechweise lediglich einen graduellen Unterschied an Klarheit veranschlagt,[36] so sehen die neuzeitlichen Autoren hier eine qualitative Differenz. Die intellektuelle Funktion dient dem Lehren; die ingeniöse hingegen dem Erregen sowie dem Erzeugen von Genuss:[37] Die gewitzte Formulierung erzeugt bei den Zuhörern Begeisterung, Bewunderung und Glück.[38] Auch Quintilian hatte hier eine scharfe, qualitative Differenz gesehen, indem er von den intellektuellen Bestandteilen des Redenverfassens, der Versammlung der Gedanken (inventio) und ihrer Anordnung (dispositio), bemerkte, diese Aufgaben bedürften keines besonderen Talents; die gestalterischen Bemühungen (die elocutio) hingegen hielt er in hoher Wertschätzung: Sie ehrten den Sprecher und richteten sich nicht nur an