Einleitung
Als im Mittelalter die moderne Wissenschaft aufkam, bot das Christentum ein umfassendes Erklärungssystem des Menschen und der Welt; es diente den Völkern als Regierungsgrundlage, brachte Wissen und Werke hervor, entschied über Frieden wie auch Krieg, regelte die Produktion und die Verteilung der Reichtümer; nichts davon konnte es jedoch vor dem Niedergang schützen.
Michel Houellebecq,Elementarteilchen (1999)[1]
Ich kann die Bewegungen der Himmelskörper berechnen, aber nicht die Verrücktheit der Menschen.
Isaac Newton (1720)
Anfang der1950er Jahre arbeitete ein junger Ökonom namens Paul Volcker als menschliche Rechenmaschine in einem Büro tief im Innern der Federal Reserve Bank of New York. Im Dienste der Leute, die die Entscheidungen trafen, brütete er über Zahlen und eröffnete seiner Frau, dass er wohl niemals weiter aufsteigen werde.[2] Zur Führungsriege der Zentralbank gehörten Banker, Anwälte und ein Schweinezüchter aus Iowa, aber kein einziger Ökonom.[3] Chef des Federal Reserve System war William McChesney Martin, ein Börsenmakler, der von der Spezies der Ökonomen keine hohe Meinung hatte. »Wir beschäftigen fünfzig Ökonometriker«, teilte er einem Besucher mit. »Sie arbeiten alle im Untergeschoss dieses Gebäudes, und das aus gutem Grund.« Wie er meinte, befänden sie sich im Gebäude, weil sie gute Fragen stellten. Im Untergeschoss, fuhr er fort, befänden sie sich, weil »sie ihre Grenzen nicht kennen, und sie vertrauen ihren Analysen sehr viel mehr, als meiner Erfahrung nach gerechtfertigt wäre«.[4]
Mitte des20. Jahrhunderts war Martins Antipathie gegenüber Ökonomen unter derUS-amerikanischen Elite weit verbreitet. Präsident Franklin Delano Roosevelt tat John Maynard Keynes, den bedeutendsten Ökonom seiner Generation, insgeheim als unpraktischen »Mathematiker« ab.[5] Präsident Dwight D. Eisenhower beschwor die Amerikaner in seiner Abschiedsrede, keine Technokraten an die Macht kommen zu lassen, und warnte, »die öffentliche Politik selbst könnte in die Fänge einer Elite aus Wissenschaft und Technik geraten«. Der Kongress hörte sich an, was Ökonomen zu sagen hatten, nahm ihre Aussagen aber nicht allzu ernst. »Die Ökonomik galt unter den obersten politischen Entscheidungsträgern, insbesondere im Regierungsviertel, als esoterische Disziplin, die außerstande war, ernsthafte Probleme konkret anzugehen«, schrieb ein Berater von Senator William Proxmire aus Wisconsin, einem führenden Demokraten in der Innenpolitik, zu Beginn der1960er Jahre.[6]
Als derUS-amerikanische Finanzminister C. Douglas Dillon1963 zwei Untersuchungen über mögliche Verbesserungen des internationalen Währungssystems in Auftrag gab, verzichtete er ausdrücklich auf die Beteiligung akademischer Ökonomen. Wie ein anderer Beamter erläuterte, sei ihr Rat »für die Entscheidungsträger praktisch nutzlos«.[7]
Im selben Jahr bekräftigte der Oberste Gerichtshof die Regierungsentscheidung, die Fusion von zwei Banken aus Philadelphia zu verhindern, obwohl es Belege für den voraussichtlichen wirtschaftlichen Nutzen der Fusion gab. Das Gericht beschied die von Ökonomen vorgebrachten Argumente als irrelevant.[8]
Doch es kündigte sich bereits eine Revolution an. Bald schon sollte der Einfluss von Ökonomen, die an die Kraft und die Herrlichkeit der Märkte glaubten, seinen Siegeszug antreten und die Politik, die Abwicklung von Geschäften und infolgedessen auch die Abläufe des täglichen Lebens von Grund auf umwandeln.
Als das vom Wachstum geprägte Vierteljahrhundert, das auf den Zweiten Weltkrieg folgte