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An diesem Morgen fand die Dämmerung nahezu kein Ende. Es war, als habe sich die Nacht mit einer dicken Wolkendecke zugedeckt und sich so aufs Bleiben eingerichtet. Weit im Osten, am äußersten Zipfel des Himmels, lugte das erste Blau vorsichtig über den Horizont. Lars Schubert sah es und schloss das Schlafzimmerfenster wieder. Die kühle Morgenluft würde ihm guttun, wenn er sich gleich auf den Weg zu seiner neuen Arbeitsstelle begab. Erst langsam kam er zu sich, weswegen er sich wieder aufs Bett setzte und mit dem Gedanken spielte, einen Augenblick stillen Daliegens zu genießen. Die Zeit aber drängte, wollte er nicht gleich mit Unpünktlichkeit in sein Berufsleben starten. Gähnend erhob er sich und sah sich um. Sein Blick fiel auf Lisa. Die Art, wie sie dalag und schlief, ließ ihn lächeln. Ja, sie würden nun glücklich werden. Auf einmal wusste er es genau.
Gestern waren sie zusammen hier angekommen. Damit erfüllte Lisas Mutter Ingeborg ihrer Tochter endlich die oft vorgetragene Bitte, in Vaters kleines Elternhaus einziehen zu dürfen. Er hatte ihr das malerisch gelegene Fischerhäuschen vererbt. Ihre Mutter wollte sie um keinen Preis ausziehen lassen, auch wenn sie noch Nesthäkchen Jonas zu versorgen hatte, Lisas kleinen Bruder. Allzu strikt und heftig fiel daher ihr Protest aus. Es war wieder eine der endlosen Debatten gewesen, wie Mutter und Tochter Kowalski sie ständig wegen dieses Themas geführt hatten - bis Lisa ihren festen Freund Lars Schubert eines Tages mit nach Hause gebracht hatte.
Ingeborg Kowalski sah langsam ein, dass sie die jungen Leute nicht aufhalten würde. Über kurz oder lang verlassen Kinder nun mal das Elternhaus. Vor zwei Tagen hatte sie schweren Herzens nachgegeben - immerhin stand dem netten jungen Mann an Lisas Seite eine Karriere als Finanzkaufmann im Kombinat Schiffbau bevor. Also sollten sie um Gotteswillen in das kleine Haus nach Dünow am Sundhaff ziehen, welches nur wenige Kilometer entfernt darauf wartete, wieder bewohnt zu werden.
Als Lars einige Minuten später in der Küche mit dem Teekessel Kaffeewasser aufbrühte, kam ihm das alles wieder in den Sinn. Ingeborg hatte ihn willkommen geheißen und schien ihn zu mögen, aber warum sollte sie deswegen ihr einziges Kind gehen lassen? Dann aber geschah etwas, mit dem er nicht rechnen konnte: Ingeborg Kowalski gab nach. Freudestrahlend überbrachte Lisa ihm die frohe Botschaft, und mit neu erwachtem Elan zogen sie binnen weniger Tage in das Haus am Sundhaff.
Halb vor Müdigkeit, halb in Gedanken versunken starrte Lars auf das dünne Fähnchen aus Wasserdampf, das aus dem Teekessel aufstieg. Der Deckel mit der Pfeife lag neben dem Herd. So wurde Lisa nicht unnötig gestört. Trotzdem erschien sie in der Tür und blinzelte ihn verschlafen an.
„Musst du schon los?“
„Ja, ich will nur noch einen Kaffee.“
„Ist doch noch dunkel, oder?“
Lars lächelte sie an. Sie sah zum Anbeißen aus. „Ich glaube, die Sonne hat heute einen Auslandstermin. Jemand aus dem Süden wird ihr ein gutes Angebot gemacht haben“, scherzte er.
Lisa grinste verlegen und winkte ab.
„Obwohl: Sie kann gar nicht am Himmel sein, wenn ich sie doch hier bei mir habe“, fuhr er fort und küsste sie auf die Stirn. Sie nannte ihn lächelnd einen Süßholzraspler. Daraufhin erklärte Lars gestikulierend und wortreich, wenn es schon nirgends Zucker zu kaufen gebe, dann müsse es eben Süßholz sein. Lisa, noch immer etwas müde, legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. Er solle nicht so reden, oder das