: Carsten Brosda
: Die Zerstörung Warum wir für den gesellschaftlichen Zusammenhalt streiten müssen
: Hoffmann und Campe Verlag
: 9783455008807
: 1
: CHF 13.50
:
: Gesellschaft
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Klar wie kaum jemand zuvor analysiert Carsten Brosda die Ursachen für das aktuelle Abrutschen der großen Volksparteien in der Wählergunst. Er skizziert die neue, oft kompromisslose politische Landschaft zwischen rechter Fremdenfeindlichkeit und grünem Kampf gegen den Klimawandel, und den wachsenden Einfluss der sozialen Medien, in denen zur Zerstörung der Volksparteien aufgerufen wird. Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren einiges kaputt gegangen: Zerstörung bedeutet aber auch, dass der Blick frei wird auf die Fundamente unserer Demokratie. Kann demokratische Politik ohne Kompromisse und Ausgleich auf Dauer überhaupt erfolgreich sein? Wie können wir der Komplexität der Aufgaben, die vor uns liegen, gerecht werden? Gibt es doch noch einen Platz für die 'Volksparteien' in Deutschland? Und wie kann die Zukunft der SPD erfolgreich gestaltet werden? 'Wenn das 19. Jahrhundert im Zeichen des Kampfes um die Freiheit stand und das 20. Jahrhundert von Konflikten um die gerechte Verteilung von Teilhabe und Ressourcen geprägt war, wird das 21. Jahrhundert zunehmend von der Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt bestimmt werden.'

Dr. Carsten Brosda, Jahrgang 1974, ist Senator für Kultur und Medien in Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Nach einem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft wurde er mit einer Arbeit über 'Diskursiven Journalismus' promoviert. Er war u. a. Leiter der Abteilung Kommunikation des SPD-Parteivorstandes und arbeitet seit 2011 in Hamburg, zunächst als Leiter des Amtes Medien, ab 2016 als Staatsrat für Kultur, Medien und Digitalisierung und seit Februar 2017 als Senator.

Die Zerstörung des öffentlichen Gesprächs


Es hat sich etwas verändert in der Art und Weise, wie wir miteinander öffentlich und damit politisch  sprechen. Dieser Befund ist keineswegs neu. Seit mindestens zwei Jahrzehnten stellen immer neue digitale Informations-, Kommunikations- und Vernetzungsangebote unsere hergebrachten Vorstellungen öffentlicher Kommunikation radikal auf den Kopf. Das offene Internet bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten der direkten Information auch unter Umgehung klassischer journalistischer Vermittler. Suchmaschinen strukturieren das Wissen der Welt und machen es in einer Art und Weise zugänglich, von der seit der Aufklärung allenfalls geträumt werden konnte. Und soziale Netzwerke bieten die Möglichkeit des direkten Austauschs und der politischen Mobilisierung aus eigener Kraft.

Vordergründig bedeuten diese technologischen Innovationen zunächst eine Demokratisierung des Wissens und die Erfüllung des alten Brecht schen Traums, von den Distributions- zu den Kommunikationsapparaten zu gelangen. Aber damit verbunden ist auch der Abschied von jenen Vorstellungen von Massenmedien, die nicht nur viele  und abstrakt alle!  erreichen können, sondern die damit auch einer Gemeinschaft dazu verhelfen, im Gespräch über die anliegenden Themen zur Gesellschaft zu werden.

Da etliche das Ende dieser massenmedialen Formierung gesellschaftlicher Kommunikation aktuell als Risiko für unsere Demokratie beklagen, lohnt es, sich noch einmal die jahrzehntelange Kritik an der massenmedial geprägten Demokratie ins Gedächtnis zu rufen. InStrukturwandel der Öffentlichkeit, seiner scharfen Abrechnung mit der Medienöffentlichkeit moderner Demokratien, hat Jürgen Habermas vor mehr als einem halben Jahrhundert eindringlich beschrieben, welche Kollateralschäden die für eine Demokratie notwendige Institutionalisierung öffentlicher Information und Kommunikation mit sich bringen kann.[5] Es entstehen neue Machtstrukturen, die eng verbunden sind mit der Möglichkeit der Medien, den Zugang zum gesellschaftlichen Gespräch zu regulieren und zu kontrollieren. Einzelne Bürgerinnen und Bürger kamen nur zufällig oder als Beiwerk erlittener Katastrophen in den Genuss öffentlicher Wahrnehmung. Das Prinzip der Repräsentanz war die Grundlage der Teilhabe und letztlich der parlamentarischen Staatsform als Ganzes. Wenige herausgehobene Protagonisten sprachen als korporatistisch legitimierte Vertreter großer Interessengruppen. Das Staatsvolk trat meist nur als Masse in Erscheinung, deren Willen sich in aggregierter Form bei Wahlen äußerte.

In einer solcherart vorstrukturierten Öffentlichkeit drohten wenige Überraschungen. Im Normalfall informierten die politischen Spitzenakteure über ihre politischen Vorhaben und diskutierten dann mit Vertretern der zivilgesellschaftlichen Organisationen das Für und Wider einzelner Aspekte, um letztlich zu einer parlamentarischen Entscheidung zu gelangen. Diese war Ausdruck der Kompromisse, die erforderlich waren, um eine Mehrheit der Bevölkerung bzw. der Abgeordneten hinter einem Vorschlag zu vereinen. Die Massenmedien berichteten über die Auseinandersetzungen im politischen Raum anhand starker, wahrnehmbarer Akteure, die bestimmte politische Positionen verkörperten. Auf diese Weise entstand eine erzählbare Akteurskonstellation.

Natürlich gab es auch in diesen massenmedial geprägten Zeiten regelmäßig Störungen, auch Zerstörungen des Routinemodus  und zwar immer dann, wenn zivilgesellschaftliche Akteure das Gefühl hatten, dass sich Regierung, Parlament oder Parteien, mithin das politische Zentrum, nicht ausreichend um eine Angelegenheit von Bedeutung kümmerten, und deshalb in die Top-down-Vermittlung eingriffen.[6] Aber diese Störungen bezogen sich auf die klassischen Institutionen der Öffentlichkeit. Um ein neues Thema zu setzen oder mit mehr Dringlichkeit zu versehen, musste es über die ma