1. KAPITEL
Leo Conti saß auf der Rückbank seiner Limousine und betrachtete das altehrwürdige Gebäude am Ende der Allee. Beste Lage, perfekte Größe. Nur der leicht abblätternde Putz verriet, dass die Glanzzeit des alten Dubliner Kaufhauses längst vorbei war.
Doch aus Leos Sicht konnte es nicht besser laufen.
Sein Großvater Benito Conti hatte fast sein ganzes Leben lang vergeblich versucht, in den Besitz dieses Geschäftshauses zu gelangen. Er besaß zahlreiche Grundstücke und exklusive Einkaufszentren auf der ganzen Welt, aber auf dieses eine Gebäude hatte er fünfzig Jahre lang verzichten müssen.
Leo hatte ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Großvater, schließlich hatte Benito ihn großgezogen, nachdem er mit acht Jahren Waise geworden war. Doch er hatte nie verstanden, warum Benito die Jagd nach diesem alten Kaufhaus so zäh verfolgte. Obwohl Leo natürlich begriff, dass es bitter sein musste, wenn man vom besten Freund übers Ohr gehauen wurde.
Solange Leo denken konnte, hatte er miterlebt, wie sein Großvater versucht hatte, Tommaso Gallo das Gebäude abzukaufen.
„Bevor der alte Hund es mir verkauft“, hatte Benito oft geflucht, „lässt er es lieber verfallen! Wenn doch bloß sein verdammter italienischer Stolz nicht wäre! Nun, wenn es verfällt – und das wird es, so wie Tommaso seit Jahrzehnten sein Geld für Alkohol und Glücksspiel aus dem Fenster wirft –, dann stehe ich in der ersten Reihe und lache mir ins Fäustchen! Ehre ist für diesen Mann doch ein Fremdwort.“
Ehre, dachte Leo, während er den schlechten Zustand des Gebäudes in Augenschein nahm, ist ein irrationales Gefühl, das meistens alles verkompliziert.
„James, Sie können sich ein, zwei Stunden freinehmen.“ Leo lehnte sich zu seinem Chauffeur vor. „Besorgen Sie sich zur Abwechslung mal etwas Gesundes zu essen. Sie dürfen nicht immer dieses Fast Food in sich hineinstopfen. Ich melde mich, wenn ich hier fertig bin und Sie mich abholen können.“
„Wollen Sie das Haus denn sofort kaufen, Boss?“
Die Blicke der beiden Männer trafen sich im Rückspiegel. Tatsächlich war sein Chauffeur James einer der wenigen Menschen, dem Leo jederzeit sein Leben anvertraut hätte.
„Erst einmal“, erwiderte Leo, während er die Wagentür öffnete und einen Schwall sommerlicher Hitze hereinließ, „werde ich den Zustand des Ladens unter die Lupe nehmen. Am besten bleibe ich dabei unerkannt. Dann sehe ich, wie weit ich den Preis drücken kann. Wie ich gehört habe, soll der ehemalige Eigentümer bei seinem Tod einen Haufen Schulden hinterlassen haben. Der Erbe wird vermutlich so schnell wie möglich verkaufen wollen, bevor sich überall herumgesprochen hat, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt.“
Leo hatte keine Ahnung, wer der neue Besitzer war. Und er hätte wohl nie vom Tod des alten Mannes erfahren, wenn ihn sein Großvater nicht aus Hongkong zurückbeordert hätte, damit er das Kaufhaus so schnell wie möglich in den Familienbesitz brachte.
„Jetzt fahren Sie schon“, sagte Leo zu seinem Chauffeur. „Und während Sie sich einen Salat besorgen, können Sie auch gleich nach einem Pfandhaus Ausschau halten und den ganzen Schmuck loswerden, den Sie seit Jahren tragen.“ Leo grinste. „Hat Ihnen denn noch keiner gesagt, dass Siegelringe und dicke Goldketten total aus der Mode gekommen sind?“
James verdrehte in gespielter Empörung die Augen, wartete, bis sein Arbeitgeber die Tür zuwarf, und fuhr grinsend davon.
Gut gelaunt ging Leo auf die gläserne Drehtür des Kaufhauses zu. Nur eine Handvoll anderer Menschen folgte ihm, dabei war es Samstagvormittag und überall sonst herrschte geschäftiges Treiben. Allein das verriet schon eine Menge über den Zustand des Kaufhauses.
Vier Etagen Glas und Beton, die nur auf die Abrissbirne zu warten schienen. Leo zog im Geist bereits ein paar Hunderttausend Euro von dem Kaufpreis ab, der ihm eigentlich vorgeschwebt hatte.
Seinen Großvater würde das sicherlich sehr freuen. Es hätte ihn nämlich extrem gewurmt, wenn er einen Spitzenpreis für ein Haus hätte zahlen müssen, das eigentlich schon vor fünfzig Jahren in seinen Besitz hätte übergehen sollen. Aber Tommaso Gallo hatte sich nicht an den Handel gehalten, den er damals mit Benito geschlossen hatte …
Im Erdgeschoss des Kaufhauses ging Leo zur Rolltreppe, neben der sich ein Übersichtsplan für die verschiedenen Etagen befand. Dabei dachte er an das Zerwürfnis der beiden Männer.
Benito Con