: Jochen Schimmang
: Königswege: Drei Erzählungen
: Hallenberger Media Verlag
: 9783957641090
: 1
: CHF 3.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 250
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Es ist schieres Glück, dass Schlesinger den Koffer entdeckt. Aber dann fackelt er nicht lange und nimmt ihn an sich. Der Koffer ist voller Geld– und Schlesinger weiß, was er jetzt zu tun hat.
Und auch der alternde Kunsthistoriker Vandenberg erlebt einen entscheidenden Augenblick in seinem Leben.
Eigentlich hat er schon lange aufgegeben, an sein Glück zu glauben. Seine Frau ist ihm weggelaufen, und seine Freunde haben sich von ihm zurückgezogen. An einem kalten Apriltag beschließt Vandenberg schließlich, noch einmal nach Den Haag zu fahren und sich »Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge« anzuschauen, das berühmte und tiefgründige Gemälde des holländischen Malers Vermeer. Es wird eine schicksalhafte Reise für Vandenberg. Denn er begegnet nicht nur Grace, einer fremden schwarzen Frau, der er in ihre winzige Wohnung folgt. Er findet endlich heraus, welche Bedeutung Vermeers Bild für sein eigenes Leben hat.
Ob Schlesinger oder Vandenberg - immer beobachtet Jochen Schimmang seine Helden in ganz besonderen Momenten ihres Lebens, Momente, in denen sie, die ewigen Verlierer und Zauderer, sich plötzlich aus ihrer Selbstverlorenheit zu reißen vermögen und zu begreifen beginnen, dass es immer einen »Königsweg« zum Glück gibt. Momente, von denen an sie mit einem mal alles richtig machen und sich am Ende ihres Glücks als würdig erweisen.

8


Eine andere Form der Intimität, eine der wenigen, die ihm verbleibt, weil er sie selber herstellen kann und dabei von niemandem abhängig ist. Diese Form nennt er so:Professor Vandenberg, gehegt und allein, doch das Ohr an der Welt.

Noch immer das Hotelbett. Er hat ein Kissen aus dem Schrank geholt und es zusammen mit dem Kopfkissen in seinem Nacken postiert. Es gehört zu den wenigen Dingen, an die auch die besten Hotels nicht denken, dass ihre Gäste vielleicht im oder auf dem Bett lesen möchten. Die beiden Kissen zusammen tun es gerade. Er liest nicht, er hält ein Buch in der Hand und geht mit den Augen darüber hinweg. Statt zu lesen, hört er den Schritten auf dem Flur zu. Ein junges Paar, das verspätet vomshopping zurückkommt, vielleicht haben sie anschließend noch gegessen. (Auch Vandenberg, das spürt er jetzt, muss heute noch einmal seine Zelle verlassen und essen gehen.) Er hört ein, zwei Tüten rascheln, und die junge Frau erzählt ihrem Liebsten etwas, was sie gerade gemeinsam erlebt haben, unter Gelächter. Gelächter, das dunkler wird, und Vandenberg hört die Erregung in diesem Fall der Stimme, die unkontrollierbare Vorfreude. Die Stimmen entfernen sich. Dann hört er im Zimmer rechts nebenan die Dusche laufen, oder jemand lässt sich ein Bad ein, danach das schwere Husten eines älteren Mannes. Älter als er, Vandenberg. Sogar die heftigen, unregelmäßigen Atemzüge hört er, die der Hustenanfall ausgelöst hat. Älter als ich, denkt Vandenberg befriedigt. Dicker, viel, viel dicker. Und wahrscheinlich hat er jetzt Schweißperlen auf der Stirn. Dann zwei Minuten Stille, in denen Vandenberg immer wieder denselben Halbsatz in seinem Buch fixiert, ohne ihn zu verstehen. Bis er kleine, schnelle Schritte hört, von mehr als zwei Personen, dann angeregte Unterhaltung, nur Männer: das sind die Japaner, die er heute Abend an der Bar gesehen hat, als er von seiner Gracht ins Hotel zurückkam, von den ballspielenden Jungen und den hüftwiegenden Mädchen. Die unverständlichen Laute schwellen an, erreichen seine Tür un