Hecken voller Geister
Morgen, Joker!«
Ich hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, da antwortete mir auch schon ein ohrenbetäubendes Wiehern. Joker konnte mich von seiner Box aus nicht sehen, aber er erkannte mich wohl am Schritt. Jedenfalls warf er sofort die Trompete an, sobald ich die Stalltür öffnete. Joker war ein großes Pferd – ein riesiges Pferd, genauer gesagt – mit entsprechend dröhnender Stimme.
Mein Freund Thorsten, der in der Stallgasse vor den Boxen seinen Schimmel Mano putzte, hielt sich die Ohren zu.
»Müsst ihr euch zur Begrüßung anbrüllen?«, fragte er.
Thorsten war manchmal etwas eifersüchtig, wenn Joker und ich zu sehr auf Traumpaar machten. Ebenso wie Jokers eigentliche Besitzerin, Frau Müller-Westhoff. Aber ich machte mir da nichts vor: Jokers Begeisterung für mich entsprang einfach der Tatsache, dass ich ihn nicht ritt. Frau Müller-Westhoffs Riesenross war im wahrsten Sinne des Wortes mein Pflegepferd. Ich brachte Joker auf die Weide, putzte ihn über, wenn er sich da dreckig machte, und veranstaltete auch schon mal ein Badefest, wenn seine Reiter wie üblich vergaßen, ihn abzuspritzen. Für all das gab mir Frau Müller-Westhoff jede Woche zehn Euro, was mich ganz verlegen machte. Schließlich hätte ich mich auch umsonst um Joker gekümmert. Aber Frau Müller-Westhoff hatte ein chronisch schlechtes Gewissen, weil sie mich nicht reiten ließ – was wiederum damit zusammenhing, dass sie Joker für gemeingefährlich hielt. Ich vermisste da allerdings nicht viel. Reiten war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung und eigentlich hatte ich mir auch gar nichts aus Pferden gemacht. Ich war nur im Schlepptau meiner Mutter in diese ganze Reitstallgeschichte hineingerutscht. Die hatte im letzten Jahr ganz plötzlich entdeckt, dass sie ohne Pferde nicht mehr leben konnte – vermutlich eine Form von Midlife-Crisis. Leider traute sie sich allein nicht in die Reitschule und so lotste sie mich mit List und Tücke in einen »Mutter-Tochter-Reitkurs«. Dabei hatten wir Thorsten und seinen Vater kennengelernt. Eine peinliche Situation, aber dann funkte es eben. Erst zwischen mir und Joker Riesenross und schließlich auch zwischen mir und Thorsten. Wobei mir beide am Anfang vor allem leidtaten. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Joker zum Beispiel war eine Sportskanone. Und seiner Besitzerin war so ziemlich jedes Mittel recht, um sein Talent zum Dressurpferd zu wecken. Er reagierte darauf mitunter etwas ungehalten, was ich ihm nicht verdenken konnte. Und wenn Joker die Geduld verlor, entledigte er sich auch schnell seiner Reiter. Frau Müller-Westhoff stellte ihr Pferd deshalb manchmal so dar, als bedeute ein Ritt auf ihm so etwas wie eine Mount-Everest-Besteigung ohne Sauerstoff. Dabei konnte Joker durchaus nett sei