: Franz Vranitzky, Peter Pelinka
: Zurück zum Respekt Überleben in einer chaotischen Welt
: Edition A
: 9783990012499
: 1
: CHF 15.30
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Politik und Medien verlieren an Glaubwürdigkeit, die Demokratie ist angeschlagen, die guten Sitten verfallen, Familie und Kirche bieten kaum noch Halt und daran, dass die Zukunft besser wird, will niemand mehr richtig glauben. Wie konnte es so weit kommen? Und was kommt als nächstes? Franz Vranitzky ordnet das Chaos. Dabei zeigt er anhand von Beispielen aus seiner Lebenserfahrung, warum wir gerade jetzt zu den Werten der Aufklärung wie Rationalität, Toleranz, Solidarität und Respekt zurückkehren sollten, und was sie in der Politik, im öffentlichen Diskurs sowie jedem Einzelnen bringen.

Franz Vranitzky, geboren 1937, war Generaldirektor der Creditanstalt-Bankverein und stellvertretender Generaldirektor der österreichischen Länderbank. Nach seinem Wechsel in die Politik war er Bundesminister für Finanzen (SPÖ) und schließlich Bundeskanzler.

DIE GLOBALISIERTE WELT


Die Welt verändert sich mit stets wachsender Geschwindigkeit. Vor vierzig, fünfzig Jahren war sie nicht besser, aber ein wenig einfacher. Es gab im Großen und Ganzen zwei große Mächte, zwei Blöcke und einige Sonderfaktoren. Damals waren auch größere Krisen relativ einfach zu bewältigen. Die Erklärung für die erste Flüchtlingswelle aus Ungarn 1956 war klar: Die Sowjetunion nahm Ungarn in die Zange und zwang viele Menschen zur Flucht. Wir nahmen sie damals als gute Nachbarn auf, auch in der Erwartung, dass viele von ihnen nach Kanada oder Australien weiterziehen würden. Auch Menschen, die nicht übermäßig politisch belesen waren, verstanden, worum es ging.

Wir konnten davon ausgehen, dass die zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert und die indiskutable Zwischenkriegszeit, jedenfalls in Europa, den Menschen einen derart immensen Schaden zugefügt haben, dass danach viel Kraft darauf verwendet wurde, derartige Katastrophen grundsätzlich zu verhindern. Dementsprechend gab es eine bemerkenswerte säkulare Entwicklung, materiell, kulturell und politisch: Staaten erlangten ihre Souveränität, Menschen schlossen sich zu Friedensbewegungen zusammen, das europäische Modell entstand. Sogar die Spannungen zwischen Ost und West vergingen letztlich. Die Berliner Mauer fiel genauso wie der Eiserne Vorhang. Diese Erfolgserlebnisse haben den Menschen Hoffnung gegeben und ihnen gezeigt, dass es aufwärtsgeht; die sozialen Modelle der einzelnen Staaten bewährten sich. Die Schulbildung wurde immer besser, die Menschen profitierten vom Wiederaufbau.

Ab einem gewissen Wohlstand wuchs seine Vermehrung aber immer langsamer. Und nachdem es so lange nur aufwärtsgegangen war, passierten auf der Weltbühne plötzlich wieder Dinge, die unsere Zufriedenheit infrage stellten. Jahrzehntelang hatte Frieden geherrscht, doch in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre brach direkt vor unserer Haustür, in Jugoslawien, ein Krieg aus. Mit der Wirtschaft war es lange bergauf gegangen, dann unterbrachen die internationale Energiekrise und der Ölpreisschock unsere scheinbar ungestörte Fahrt nach oben.

Die Finanzkrise 2008 duschte uns alle dann endgültig kalt ab. Auf einmal wurden Dinge hinterfragt, die vorher nie bezweifelt worden waren: ein abgesichertes Familieneinkommen, das sichere Sparbuch oder ein ausgebautes Netz von Transferleistungen, schließlich selbst unsere gemeinsame Währung. Der Euro schien plötzlich nicht sicher genug. Dabei wird völlig ausgeblendet, wie oft früher gegen den Schilling spekuliert worden war, wie oft war er nicht sicher genug erschienen.

Vor der Einführung des Euro hatte etwa die Abwertung der schwedischen und finnischen Währung über Nacht unsere Papierindustrie aus dem Markt geworfen. Die wenigsten Menschen wissen heute darüber Bescheid, weil die Dinge früher nicht so publik wurden. Wenn heute Maßnahmen getroffen werden, solche Taktiken zu verhindern, regen sich die Menschen auch darüber auf. Zum Beispiel über die Rettung der Banken. Doch hätten die europäischen Staaten sie im Zuge der Finanzkrise 2008 nicht gerettet, wäre der Schaden für die europäischen Volkswirtschaften wirklich groß geworden.