: Omar Khir Alanam
: Danke Wie Österreich meine Heimat wurde
: Edition A
: 9783990012901
: 1
: CHF 11.70
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach drei Jahren in Österreich spricht er so gut Deutsch, dass er an Poetry-Slams teilnehmen kann, er macht eine Ausbildung und lebt mit seiner Freundin in einer kleinen Wohnung in Graz. Sein entwaffnendes 'Danke' lässt alle Beteiligten an der hitzigen Diskussion um Zuwanderung fu?r einen Moment verstummen.

Omar Khir Alanam, geboren 1991, wollte nicht als Soldat in Baschar al-Assads Armee töten und sterben. Er floh zunächst in den Libanon und dann nach Österreich. Er ist Poetry-Slammer und absolviert eine Ausbildung zum Fachsozialbetreuer mit Schwerpunkt Kulturvermittlung.

Sieben


Jeder Mensch hat so seine Zahlen. Zahlen, denen er lieber aus dem Weg geht. Und Zahlen, die er liebt.Seine Zahlen.

Vielleicht liebt ein Mensch ja nur eine einzige Zahl. Weil sie von besonderer Bedeutung für ihn ist. Weil sie für einen bestimmten Tag steht. Einen Ort. Einen Freund. Eine Freundin. Für den Beginn einer Telefonnummer. Oder für den Beginn einer Liebe.

Zahlen, habe ich gelernt, sind wie Menschen. Jede einzelne hat eine starke Persönlichkeit. Einen eigenen Charakter. Manchmal jedoch sind Menschen nichts als Zahlen. Bedeutungslos. Beliebig. Nackt. Auch das habe ich gelernt. Schon viel früher. In meiner alten Heimat Syrien.

Meine Zahl ist die Sieben.

Die Sieben hat für mich eine dunkle, sehr dunkle Seite. Bis heute Abend. Zahlen, werde ich heute Abend lernen, sind bunt. Nicht nur schwarz. Oder weiß. Meistens jedoch schwarz. Nein. Sie haben, werde ich lernen, auf jeden Fall auch eine zweite Seite. Wie Münzen. Eine schlechte Seite und eine gute. Aber können Münzen überhaupt gute und schlechte Seiten haben? Alena wird mir später beibringen, dass ich es symbolisch betrachten muss. Weil man in diesem Land und in diesem Fall und in dieser Sprache auch nicht diezwei Seiten einer Münze sagt, sondern:Die Kehrseite der Medaille.

Doch das weiß ich in dem Augenblick noch nicht, als ich die Bühne betrete. Ich weiß nur, dass meine Beine wackeln. Und dass es eine Bühne in Graz ist, meiner neuen Heimat. Auf den Tag genau vor zwei Jahren bin ich nach Österreich gekommen. Heute Morgen noch habe ich daran gedacht. Als Ruth und Alena mich angetrieben, mir in diesen Tag geholfen haben. In diesen ganz besonderen Tag.

Zufall? Schicksal? So vieles ist seitdem geschehen. Das alles schwirrt in mir umher. Gedanken schießen mir durch den Kopf. Sie prallen ab und fliegen weiter. Prallen wieder ab. Fliegen wieder weiter. Außer Kontrolle. Wie Gewehrkugeln. Nein. Die gehören nicht hierher. Es sind doch bloß Gedanken. Aber ich kann sie nicht ordnen. Nicht jetzt. Nicht hier auf der Bühne. Vor mir liegt das Dunkel, und ich weiß nur:

Ich bin die Sieben.

Und ich spüre, als ich stehenbleibe, mich zur Seite drehe, dass ich plötzlich nichts mehr spüre. Dass ich meine Beine nicht mehr spüre. Sie sind taub. Genau wie damals, als ich zum ersten Mal die Sieben war und die Angst meinen Körper beherrscht hat.

Ich stehe jetzt auf der Bühne. Endlich. Aufrecht. Und doch klein. Gebückt. Ich halte einen Text in den Händen. Meinen Text. Sind Texte wie dieser nicht verboten? Meine Finger zittern vor Angst. Aber es ist eine andere Angst. Und wenn ich