Zum Einstieg oder Was so passiert
Fall eins
Die neurochirurgische Abteilung des Krankenhauses, in der ich damals als Assistenzärztin arbeitete, hatte einen neuen, auf Zeit bestellten Chef bekommen. Neben seinem Sinn für Karriere und dem Montblanc-Kugelschreiber in seiner Brusttasche, qualifizierte ihn meiner Meinung und der Meinung der meisten meiner Kollegen nach nur sehr wenig für den Job. Seine Referenzen waren fragwürdig, seine Führungsqualitäten wären nicht einmal unter dem sündteurenOP-Mikroskop sichtbar geworden.
Da er aber nun mal der neue Chef der Abteilung war, nutzte er seine vorübergehende Amtszeit konsequent, um seine Referenzen für die Zukunft gründlich zu verbessern. Bei einem Neurochirurgen bestehen Referenzen zu einem großen Teil aus den Operationen, die er schon durchgeführt hat. Daher teilte er sich hemmungslos für praktisch alles ein, das unsere Abteilung zu bieten hatte. Niemand aus dem Team bezweifelte, dass eine Reihe von Patienten bitter für sein Engagement in eigener Sache bezahlen würde, aber wir hatten ihn nicht bestellt. Chef ist nun mal Chef, und keiner hatte Lust auf noch mehr Stress, als wir ohnedies jeden Tag hatten.
Die Patientin, um die es hier geht, war eine gerade einmal drei-ßigjährige Krankenschwester. Sie litt an einem Meningeom, einem gutartigen Tumor mit sieben Zentimetern Durchmesser. Das Meningeom lag noch dazu an einer Stelle im Gehirn, an der die venösen Blutleiter besonders stark ausgeprägt sind, was bedeutete, dass sie bei einer Operation sehr stark bluten konnten. Blut ist bei einem Eingriff im Schädel nie gut. Es war trotzdem eine Routineoperation, die jeder einigermaßen eingearbeitete Neurochirurg locker hingekriegt hätte. Sie dauerte für gewöhnlich fünf Stunden und verlief in den meisten Fällen gut. Unser neuer Chef hatte solche Eingriffe bisher jedoch kaum durchgeführt, war aber zu stolz, um einen erfahreneren Kollegen beizuziehen. Also operierte er das Meningeom alleine. Er war ja jetzt zumindest vorübergehend Chef und musste seinen Operationskatalog für zukünftige Bewerbungen ordentlich auffetten. Doch übertriebenes Karrierebewusstsein und mangelnde Erfahrung bei einem Neurochirurgen sind für Patienten eine verhängnisvolle Kombination.
13 Stunden, nachdem er den Schädel der jungen Frau geöffnet hatte, war er mit der Beseitigung des Meningeoms noch immer nicht fertig. Eine weitere Stunde später fing es im gesamten Operationsgebiet wie verrückt zu bluten an. Unser Chef musste uns, einen Kollegen und mich, zu Hilfe holen, um die Schädeldecke so rasch wie möglich wieder zu schließen. Sich rechtzeitig Hilfe zu holen hätte seiner Reputation nicht geschadet, im Gegenteil, es hätte für sein Verantwortungsbewusstsein gesprochen. Er tat es leider viel zu spät.
Wir halfen ihm, so gut es ging. Doch gleich nachdem er die Frau, die angesichts ihrer vergleichsweise harmlosen Diagnose wohl nie vermutet hätte, was für ein endloses Gemetzel in ihrem Gehirn stattfinden würde, aus dem Operationssaal in die Intensivstation geschickt hatte, erlitt sie eine massive Nachblutung. Das machte eine sofortige weitere Operation notwendig.
Diesmal waren wir von Anfang an dabei. Wir öffneten ihre Schädeldecke weiter, als bei der zuvor durchgeführten Operation. Die aufgetretenen Komplikationen machten das notwendig. Der Knochendeckel, den wir ihr abgenommen hatten, würde nach der Operation weg bleiben, für den Fall einer Schwellung oder weiterer Komplikationen. Ein Mensch, der sich nach dem Aufwachen auf den Kopf greift und feststellt, dass auf einer Seite seines Kopfes kein harter Knochen mehr ist, sondern ein Loch im Knochen mit etwas, das sich so ähnlich anfühlt wie ein mit Wasser gefüllter Luftballon, hat sich darüber wahrscheinlich noch nie besonders gefreut.
Nach dem zw