DER JÄGER
Stille war eingekehrt. Er liebte diese Stunden, wenn alle schliefen und jeder Raum nur sich selbst gehörte. Wenn niemand erwartete, dass er im richtigen Augenblick in ein Gespräch eingriff. Wenn sein Herzschlag den Rhythmus der Zeit vorgab. Wenn er keine Maske aufsetzen musste, um als liebevoller Vater, als besorgter Ehemann oder als erfolgreicher Geschäftsmann zu gelten. Wenn niemand fragte, warum er sich eine Zigarette anzündete. Das Streichholz zischte, als er es über die Reibfläche zog. Die Flamme erhellte sein Arbeitszimmer, bevor er seine Hand schüttelte und das verglühte Holz in den Aschenbecher gleiten ließ. Während er tief inhalierte, trat er ans Fenster. Der Ahorn hatte die Blätter verloren. Der Sommer war nicht mehr als ein letzter Hauch von Blütenduft, der bloß in seiner Erinnerung existierte. Hätten sich nicht Nebelschwaden um die Straßenlaternen gelegt und einen Teil des Lichtes verschluckt, hätte er zwischen den kahlen Ästen die Eisenstäbe des Zaunes erkennen können, der den Garten einschloss und sein Reich vom Rest der Welt trennte. Ein dunkler Fleck huschte den Stamm hinab und bewegte sich über den Rasen. Als würde jemand an der Linse einer Kamera drehen, gewann die Gestalt an Schärfe, je näher sie dem Haus kam. Von Zeit zu Zeit schlich die Nachbarskatze auf ihrem Beutezug durch seinen Garten. Als er gegen die Scheibe klopfte, zuckte das Tier zusammen und ergriff mit langen Sprüngen die Flucht. Er duldete keinen Eindringling in seiner Welt. Ganz besonders nicht, wenn es sich um andere Jäger handelte.
Er kniff die Augen zusammen, als er ein letztes Mal an der Zigarette zog. Die Katze war verschwunden. Als ein Windstoß durch den Baum fegte, wiegten sich die Zweige im Takt, als würden sie ein Lebewohl anstimmen. Er drehte sich um, ging zu seinem Schreibtisch und schaltete die Lampe ein. Der Silberrahmen des Fotos reflektierte das Licht und Großvater schaute ihn fragend an. Was er von dem Weg halten würde, den sein Enkel eingeschlagen hatte? Er konnte nicht sagen, ob die Farben über die Jahre verblasst waren oder seine Erinnerung ihn täuschte, doch er hätte geschworen, dass Großvaters blaue Augen um vieles intensiver geleuchtet hatten. Unvermittelt war er wieder neun Jahre alt. Sein Vater war im Winter beerdigt worden. Er verbrachte die Ferien am Land. Die Burschen aus dem Dorf arbeiteten auf den Höfen und waren größer und kräftiger als er. Im Gegensatz zu seiner war ihre Haut gebräunt. Sommersprossen überzogen seine Nase und dünne Waden ragten aus seinen Hosen. Seine Schuhe waren abgetreten und Steine drückten auf seine Fußsohlen, wenn sie an den Abenden die Hügel erforschten. Er hasste die Kälte des Baches und ekelte sich vor den Käfern, die sie in Marmeladegläsern fingen. Bei jedem Streifzug kämpfte er um den Anschluss in der Gruppe. Er errötete, wenn sie die Mädchen beim Baden beobachteten. Er hatte keine