: Malika Sabaß
: Lebensblick
: Karina Verlag
: 9783966611176
: 1
: CHF 4.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 170
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Barbara ist Psychologin. Mit glasklarem Verstand und einfühlsamem Herzen analysiert sie die Konflikte ihrer Patienten. Ihr eigenes Leben jedoch liegt in Trümmern.Auch Ex-Freund Jörg hadert mit sich und seinem Leben, an dessen Ansprüchen er immer wieder und insbesondere durch die Trennung von Barbara scheitert. Als Barbara den Blick auf die Untiefen ihrer eigenen Vergangenheit richtet, wird sie mit voller Wucht von den unverarbeiteten traumatischen Ereignissen ihres Lebens eingeholt. Sie erlebt eine spannende Reise in ihr Inneres, an deren Ende die Auflösung zerstörerischer Verstrickungen möglich ist.Durch die Freundschaft mit einem Obdachlosen, der eine erschütternde Lebensgeschichte von Schuld und Sühne zu berichten hat, wird auch Jörgs Leben in neue Bahnen gelenkt.Doch was hat das liebenswerte Hausschwein Emma damit zu tun?

Malika Sabaß wurde 1982 in München als Tochter einer Deutschen und eines US-Bürgers geboren. Aufgewachsen im Chiemgau in Bayern, begann sie bereits in ihrer Kindheit kleine Kurzgeschichten und Gedichte zu verfassen. Nach dem Abitur studierte sie Medizin und erlangte 2010 die Approbation als Ärztin. Außerdem besuchte sie die Schauspielschule und absolvierte nach ihrem Medizinstudium eine zusätzliche Ausbildung als Theaterpädagogin.Heute lebt Malika Sabaß im Schwarzwald und arbeitet als Ärztin und Theaterpädagogin in einem Jugenddorf.Vor der Veröffentlichung ihres ersten Romans Lebensblick erschienen bereits einige Gedichte in Anthologien und sie gewann mit einer Kurzgeschichte den ersten Preis eines Wettbewerbs des Magazins Lebensbaum.

»Ja«, antwortet der Alte.

 

***

 

Barbara schreibt:

»Bewegungslos daliegen. Nur nicht rühren!Jede Bewegung ist gefährlich!«

Barbara sieht sich selbst, wie sie ganz starr in ihrem roten Kinderbettchen liegt, die Hand ihres Vaters auf ihrem nackten Oberschenkel.

»Nur nicht bewegen!« – Das spüre ich instinktiv. Etwas ist nicht in Ordnung. Mit dieser Situation. Mit meinem Vater. Ich kann es nicht einordnen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann nur fühlen:nicht bewegen!

Da ist der Impuls zu schreien und der Kampf darum, den Schrei zu unterdrücken. Ich liebe meinen Vater. Es muss also an mir liegen. Etwasan mir mussfalsch sein.Bestimmt habe ich etwas falsch gemacht. Aber was?

Die große Kraft, die es mich gekostet hat, nicht zu schreien. Jahrelang nicht zu schreien …

 

*

 

Ekel. Das ist auch ein Gefühl, das Barbara gut kennt. Ekel in der eigenen Haut, Ekel im eigenen Körper. An manchen Tagen erwacht sie bereits mit diesem Gefühl und es begleitet sie den ganzen Tag über. Dann verschwindet es ebenso plötzlich, wie es gekommen ist und sie fühlt sich wieder wohl. Mit sich selbst, mit der Welt und mit ihren Ängsten.

Barbara lehnt sich im Stuhl zurück und schließt die Augen. Jetzt sieht sie wieder das kleine Mädchen vor sich, das sie einmal gewesen ist. Das Mädchen begleitet sie stets. Mit all seinen Ängsten. Es willverstehen.Alles verstehen, am besten. Das Mädchen freut sich, wenn Barbara analysiert. Wenn sie sich selbst analysiert, ihre Patienten und die Welt mit all ihren Ängsten. Es ist beruhigend, wenn man die Dinge einordnen und begreifen kann.

Damals, als Kind, hat sie es nicht gekonnt.

 

*

 

Barbara schreibt:

»Vater?!«

Ich halte den Hörer des Telefons fest umklammert, die Stimme meines Vaters klingt durch die Leitung. Seine warme und tiefe Stimme.

»Barbara, ich liebe dich«, sagt er.

Ich bin ganz gelähmt, ich darf jetzt nicht antworten, das weiß ich; das habe ich gesagt bekommen. Mein Vater ist böse. Er will mir nicht gut, so heißt es. Ich lausche in den Hörer hinein. Atmen. Langsam lege ich den Hörer zurück auf die Gabel. Ich darfniemandem davon erzählen! Nicht von diesem Anruf, nicht von meinem Vater.

Ich darfnicht vertrauen. Niemandem!

Verstohlen sehe ich mich um. Wo ist meine Mutter? Ich muss nachsehen, vielleicht liegt die Mutter ja wieder oben auf dem Bett und weint? Ich renne die Treppe hinauf. Der Mutter geht es nicht gut. Nicht mit der Scheidung und nicht damit, dass Vater Böses getan hat. Ich renne schneller. Ichmuss die Mutter finden, ich muss sie trösten und beruhigen. Meine Mutter braucht mich! Also nehme ich immer zwei Stufen auf einmal und renne ins Schlafzimmer. Die Mutter liegt bäuchlings auf dem Bett und weint so laut, dass das ganze große Bett wackelt. Ich sehe sie an und hole tief Luft.Ich muss stark sein. Wenn ich nicht stark bin, wird alles endgültig zusammenbrechen.

»Mama?!«

 

»Dein Vater ist pädophil«, schreibt Barbara weiter.

So wird es mir gesagt. Diese Information macht etwas mit mir, sie frisst sich in