»Ja«, antwortet der Alte.
***
Barbara schreibt:
»Bewegungslos daliegen. Nur nicht rühren!Jede Bewegung ist gefährlich!«
Barbara sieht sich selbst, wie sie ganz starr in ihrem roten Kinderbettchen liegt, die Hand ihres Vaters auf ihrem nackten Oberschenkel.
»Nur nicht bewegen!« – Das spüre ich instinktiv. Etwas ist nicht in Ordnung. Mit dieser Situation. Mit meinem Vater. Ich kann es nicht einordnen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann nur fühlen:nicht bewegen!
Da ist der Impuls zu schreien und der Kampf darum, den Schrei zu unterdrücken. Ich liebe meinen Vater. Es muss also an mir liegen. Etwasan mir mussfalsch sein.Bestimmt habe ich etwas falsch gemacht. Aber was?
Die große Kraft, die es mich gekostet hat, nicht zu schreien. Jahrelang nicht zu schreien …
*
Ekel. Das ist auch ein Gefühl, das Barbara gut kennt. Ekel in der eigenen Haut, Ekel im eigenen Körper. An manchen Tagen erwacht sie bereits mit diesem Gefühl und es begleitet sie den ganzen Tag über. Dann verschwindet es ebenso plötzlich, wie es gekommen ist und sie fühlt sich wieder wohl. Mit sich selbst, mit der Welt und mit ihren Ängsten.
Barbara lehnt sich im Stuhl zurück und schließt die Augen. Jetzt sieht sie wieder das kleine Mädchen vor sich, das sie einmal gewesen ist. Das Mädchen begleitet sie stets. Mit all seinen Ängsten. Es willverstehen.Alles verstehen, am besten. Das Mädchen freut sich, wenn Barbara analysiert. Wenn sie sich selbst analysiert, ihre Patienten und die Welt mit all ihren Ängsten. Es ist beruhigend, wenn man die Dinge einordnen und begreifen kann.
Damals, als Kind, hat sie es nicht gekonnt.
*
Barbara schreibt:
»Vater?!«
Ich halte den Hörer des Telefons fest umklammert, die Stimme meines Vaters klingt durch die Leitung. Seine warme und tiefe Stimme.
»Barbara, ich liebe dich«, sagt er.
Ich bin ganz gelähmt, ich darf jetzt nicht antworten, das weiß ich; das habe ich gesagt bekommen. Mein Vater ist böse. Er will mir nicht gut, so heißt es. Ich lausche in den Hörer hinein. Atmen. Langsam lege ich den Hörer zurück auf die Gabel. Ich darfniemandem davon erzählen! Nicht von diesem Anruf, nicht von meinem Vater.
Ich darfnicht vertrauen. Niemandem!
Verstohlen sehe ich mich um. Wo ist meine Mutter? Ich muss nachsehen, vielleicht liegt die Mutter ja wieder oben auf dem Bett und weint? Ich renne die Treppe hinauf. Der Mutter geht es nicht gut. Nicht mit der Scheidung und nicht damit, dass Vater Böses getan hat. Ich renne schneller. Ichmuss die Mutter finden, ich muss sie trösten und beruhigen. Meine Mutter braucht mich! Also nehme ich immer zwei Stufen auf einmal und renne ins Schlafzimmer. Die Mutter liegt bäuchlings auf dem Bett und weint so laut, dass das ganze große Bett wackelt. Ich sehe sie an und hole tief Luft.Ich muss stark sein. Wenn ich nicht stark bin, wird alles endgültig zusammenbrechen.
»Mama?!«
»Dein Vater ist pädophil«, schreibt Barbara weiter.
So wird es mir gesagt. Diese Information macht etwas mit mir, sie frisst sich in