MICHAEL OHL
In seinen zehnbändigen »Erinnerungen eines Insektenforschers«1 beschreibt Jean-Henri Fabre mit Hingabe das Verhalten zahlreicher Insektenarten, die er in seiner südfranzösischen Heimat beobachtet. Vom Heiligen Pillendreher über Grabwespen bis zur Schmeißfliege, Fabre zeichnet in seiner einfühlsamen Prosa das Verhalten von Insekten nach, die im Garten des Harmas, seines Anwesens in Sérignan-du-Comtat in der französischen Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, vorkommen. Alles, was ihm auffällt, dokumentiert er mit großer Genauigkeit.
Es bleibt nicht aus, dass auch Spinnen Fabres Weg kreuzen. Eigentlich sind sie nicht Gegenstand der Arbeit eines Entomologen, und auch Fabre ist sich bewusst, dass Spinnen nicht zu den Insekten gehören. Eigentlich Grund genug, die Spinnen nicht zu beachten, aber Fabre schert sich wenig um die Grundüberzeugungen der Systematiker, die die Natur in starre Schubladen sperren: »Eine Spinne ist nach der Klassifizierung kein Insekt, und daher scheint dieEpeira hier deplatziert. Pfui auf die Systematik! Dass sie acht und nicht sechs Beine und Lungensäcke statt Trachenröhren hat, ist für das Studium des Instinkts belanglos.«2 Fabre sieht im Phänotyp, der physischen Gestalt des Organismus, eine minderwertige, wenn nicht einschränkende Notwendigkeit der Existenz von Organismen3. Von wirklicher Relevanz aber sei die Biologie, die sich mit dem lebenden Organismus beschäftigt, die aber von den meisten Entomologen ignoriert werde: »Die Entomologie der Nomenklatoren macht enorme Fortschritte, sie überschüttet und überschwemmt uns. Die andere, die Entomologie der Biologen, die einzig interessante und beachtenswerte, wird derart vernachlässigt, dass die häufigste Spezies entweder keine Geschichte hat oder eine gründliche Revision des wenigen Vorhandenen nötig ist.