Salon Ebeling
Wenn unserLeo reden könnte!«, sagten die Leute im Wedding. Ja, der Leopoldplatz hätte viel zu erzählen. Im 19. Jahrhundert hatte der große Baumeister Schinkel hier die Alte und die Neue Nazarethkirche errichten lassen, denn immer mehr Neuberliner brauchten eine Bleibe für ihren protestantischen Glauben. Doch selbst die Gotteshäuser auf dem Platz konnten nicht den Mord an einem siebenjährigen Kind verhindern. Als Täter verdächtigte man einen Serienmörder, der wohl etliche Frauen und Mädchen auf dem Gewissen hatte. Wie viele genau, hatte er selbst nicht mehr gewusst.
Auch Ilse Ebeling kannte diese Geschichte, als sie 1950 am Leo nach geeigneten Gewerberäumen suchte.
»Kann man sich ja kaum vorstellen«, meinte sie beim Blick durch das Schaufenster hinaus auf die Straße und weiter auf den Platz. »Links eine olle Kirche von Schinkel, rechts eine olle Kirche von Schinkel, drumrum schönes Grün und dazwischen ein gemeucheltes Kind.«
Zur Besichtigung der Räume hatte Ilse sich Verstärkung mitgebracht. Ihr Bruder Karl und seine vierzehnjährige Tochter Monika begleiteten sie.
Auch Monika kannte die Geschichte vom Mord an dem Schulmädchen auf dem Leopoldplatz. »Ach, Tante. Das ist doch schon so lange her.«
Genauso sah es Monikas Vater: »Lass die alten Zeiten ruhen, Ilse. Das war letztes Jahrhundert. Da hat Kaiser Wilhelm der Erste noch regiert. Du musst hier nicht in die Kirche gehen, und ermorden will dich auch keiner. Es sei denn, du drehst den Frauen die Locken falsch. Nimm diese Räume, die Lage ist jedenfalls bestens.«
»Na schön. Aber wenn ich hier pleitegehe, seid ihr schuld.«
Doch Ilse ging nicht pleite, als sie kurz darauf am Leopoldplatz ihren Damensalon eröffnete. Im Gegenteil: Nach kaum einem halben Jahr hatte sie sich einen festen Stamm von Kundinnen aufgebaut. Und siebzehn Jahre später, am 20. Mai 1967, einem Sonnabend, feierte Ilse ihren beruflichen Abschied.
Die neue Chefin des Salons, Friseurmeisterin Monika Ebeling, schob ihre Tante durch den Flur in den Kassenraum. Die Registrierkasse stand allerdings in der Ecke, Monika hatte den Verkaufstresen zweckentfremdet. Wo sonst ihre Kundinnen die neue Wasserwelle bezahlten oder sich ein Parfum aussuchten, sollten heute süße Köstlichkeiten die Augen und Gaumen der Gäste erfreuen.
Sie beugte sich zum Rollstuhl hinunter. »Und? Was sagst du?«
Vor vierzehn Jahren war Ilse an Nierenversagen erkrankt, seitdem musste sie mehrmals wöchentlich zur Blutwäsche. Vierzehn Jahre, damit hielt sie am Städtischen Krankenhaus Wedding den Rekord. Sieben Patienten hatten im Sommer ’53 mit der Behandlung angefangen, von diesen sieben lebte nur noch Ilse. Doch nun werde es auch mit ihr bald zu Ende gehen, sagten die Ärzte. Jeden Tag baute sie weiter ab, vor allem die Arterienverkalkung im Gehirn wurde schlimmer.
Monika strich ihr über die Wange, die blassgraue Haut fühlte sich an wie dünnes Papier. »Na, das ist doch wohl ein Prachtbüfett. In der Mitte haben wir Platz gelassen, Karin bringt gleich noch vier Torten mit.«
Ilses Blick schweifte über die süße Verführung. »Vier Torten noch? Die passen da doch gar nicht mehr drauf.«
»Die stellen wir übereinander, auf eine Etagere. Du weißt doch, Karin hat eine große Bäckerei. Mit neun Läden.«
Ilse schien sich zu erinnern. »Und wann kommt Karin?«
»So in einer halben Stunde. Und sie kommt nicht allein. Sonja und Silke kommen auch. Und dann noch Dörthe und Margit, alle in Sonjas Käfer. Sonja und Silke fahren in Zehlendorf los und holen die anderen in Charlottenburg ab, und dann kommen alle fünf zu uns. Und die vier Torten bringen sie mit.«
Die Tante zögerte. »Das hast du alles schon mal erklärt, oder?«
»Macht ja nichts. So viele Namen, das ist eben kompliziert.«
»Du machst alles so gut!« Ilse griff nach Monikas Hand und drückte sie sich an die Wange. »So gut. Ihr gebt euch solche