: Thomas Enger
: Wer heute lügt, ist morgen tot
: cbt Jugendbücher
: 9783641233372
: 1
: CHF 3.60
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Deine Freundin ist tot und du stehst unter Mordverdacht ...
Der 18-jährige Even wird über Nacht vom Schulschwarm zum Verdächtigen. Seine Freundin und ein Bandkollege werden nach dem Schulfest tot aufgefunden. Sie hat gerade mit ihm Schluss gemacht, er sich mit Even gestritten. Als ein belastendes Video auftaucht und Evens Alibi infrage stellt, hält jeder in seinem Heimatort ihn für den Täter. Um seine Welt vor dem endgültigen Einsturz zu bewahren, sucht Even nach dem wahren Täter. Doch dann geschieht ein weiterer Mord ...

Thomas Enger, Jahrgang 1973, studierte Publizistik, Sport und Geschichte und arbeitete in einer Online-Redaktion. Nebenbei war er an verschiedenen Musical-Produktionen beteiligt. Sein Thrillerdebüt 'Sterblich' war im deutschsprachigen Raum wie auch international ein sensationeller Erfolg, gefolgt von vier weiteren Fällen des Ermittlers Henning Juul. Aktuell schreibt er zusammen mit Bestsellerautor Jørn Lier Horst die SPIEGEL-Bestsellerreihe über Alexander Blix und Emma Ramm. Er lebt zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern in Oslo.

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»Nervös?«

Die Gerichtsdienerin im Gerichtshaus von Nedre Romerike blickte mich mit einem vorsichtigen Lächeln an. Ich hörte auf, meine feuchten Finger ineinander zu verschränken.

»Ist das so deutlich zu sehen?«, fragte ich. Die Gerichtsdienerin lächelte ein bisschen breiter. Sie hatte seit mindestens einer Viertelstunde neben mir gesessen, aber erst jetzt sah ich, dass ihre Zähne gelb waren.

»Sagst du das erste Mal vor Gericht aus?«

»Ja.«

»Ein ganz besonderer Fall«, sagte sie.

»Ja«, erwiderte ich.

Ich hatte nicht viel über das erzählt, was geschehen war. Die Polizei hatte mich natürlich noch einmal vernommen, aber Bitten um Interviews mochte ich nicht nachgeben. Ich hatte keine Lust, im Fernsehen oder Radio aufzutreten oder etwas zu Leuten zu sagen, die ich gar nicht kannte.

Jetzt allerdings blieb mir keine Wahl mehr.

Ich hatte versucht, mich so gut wie möglich vorzubereiten, aber alles, was ich über Gerichtsverhandlungen wusste, stammte von Netflix, und ich hatte so das Gefühl, dass die Wirklichkeit doch ein bisschen anders aussah, jedenfalls in Norwegen. Die Unsicherheit war einer der Gründe, warum ich in den letzten Nächten nicht sehr viel geschlafen hatte, und die vielen Erinnerungen, die ich jetzt noch einmal würde durchleben müssen.

Die Tür vor mir öffnete sich. Ein Mann in Uniform bedeutete mir mit einem Kopfnicken, dass ich ihm folgen sollte. Ich holte tief Luft und stand auf. Sah die Gerichtsdienerin an.

»Und jetzt zu dir«, sagte sie und lächelte mich aufmunternd an. Ich zupfte meine Hosenaufschläge gerade, knöpfte mein Sakko zu und zog ein wenig an den etwas zu kurzen Manschetten meines Hemdes.

»Und jetzt zu mir«, sagte ich.

Ich fragte mich, ob ich es schaffen würde, alles zu erzählen, und wie ehrlich ich wohl sein könnte. Aber ich hoffte, dass dann alle zu Hause in Fredheim und auch im Rest des Landes besser verstehen würden, was an den kalten, nassen Oktobertagen im vergangenen Herbst bei uns im Dorf geschehen war.

Der Uniformierte führte mich durch eine breite Tür und in einen großen Saal. Und dann war es wirklich wie im Fernsehen; Gesichter, die sich zu mir umdrehten, eine plötzliche erwartungsvolle Stille, die bald einem Murmeln wich. Ich fand einen Punkt vor mir und fixierte ihn, war froh darüber, dass ich bis zum Zeugenstand einige Meter gehen musste. Das Geräusch meiner Schritte gab mir noch etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte.