: Norbert Frei, Christina Morina, Franka Maubach, Maik Tändler
: Zur rechten Zeit Wider die Rückkehr des Nationalismus | Mit Beiträgen der deutschen Sachbuchpreisträgerin 2024
: Ullstein
: 9783843720588
: 1
: CHF 18.00
:
: Geschichte
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Sehnsucht nach einer 'konservativen Revolution' zieht sich durch die gesamte deutsche Nachkriegsgeschichte. Immer wieder forderten Nationalkonservative und Rechtsradikale die liberale Demokratie heraus. Doch seit der 'Flüchtlingskrise' hat sich die Sprengkraft ihrer Argumente enorm verstärkt: Viele Positionen von AfD, Pegida und der Neuen Rechten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und das Verlangen nach einer heilen Geschichte heizt die Stimmung weiter an. Sind das noch die Deutschen, die glaubten, ihre Vergangenheit mustergültig 'bewältigt' zu haben? Präzise führen die Autoren vor Augen, was derzeit auf dem Spiel steht - und wie es dazu gekommen ist.

Prof. Dr. Norbert Frei lehrt Neuere und Neueste Geschichte in Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

EINFÜHRUNG

Weil wir das (fast) alles schon mal hatten

Zu lange haben wir Deutsche geglaubt, das alles ginge uns nichts an: die neue Fremdenfeindlichkeit der früher so weltoffenen Niederländer, die plötzliche nationale Engherzigkeit der Dänen und Schweden, der Rechtsruck in Ungarn, Polen und Tschechien, das Brexit-Votum der Briten, die Begeisterung so vieler Franzosen für Marine Le Pen, der Erfolg rechter Parteien in Italien und Österreich, der täglich neue Schock namens Donald Trump. Für fast ein Jahrfünft hatte es so ausgesehen, als sei rechter Populismus nur das Problem der anderen, die Bundesrepublik hingegen das kerngesunde Bollwerk westlicher Demokratie. Spätestens seit der Bundestagswahl vom September2017 aber wissen wir, dass der globale Rechtsruck auch Deutschland erfasst hat.

Der Einzug der AfD in den Bundestag war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Zwar scheint die Partei auf Bundesebene – anders als in den ostdeutschen Ländern, vor allem in Sachsen – von einer Regierungsbeteiligung momentan noch weit entfernt. Aber das kann sich ändern.

Darum ist es an der Zeit, sich klarzumachen, was die Renaissance rechten und rechtsradikalen Denkens bedeutet.Schon jetzt haben die Aktualisierung völkischer Stereotype, das Verlangen nach einer homogenen Nation und die Sehnsucht nach einer fleckenlosen Geschichte – kurz: hat die Rückkehr des Nationalismus – das Selbstverständnis der bundesrepublikanischen Gesellschaft spürbar erschüttert.

Aus zeithistorischer Sicht stellt sich nicht nur die Frage nach den Gründen dieser Entwicklung, sondern auch nach ihren Vorläufern in unserer Geschichte. Wer die jüngsten Erfolge der Rechtspopulisten verstehen will, tut gut daran, sich zu vergegenwärtigen, unter welchen Bedingungen in Deutschland nach1945 rechte Denkweisen verfangen und Anhänger finden konnten. Dabei zeigt sich, dass es der Rechten ungeachtet ihrer hartnäckigen Bemühungen und mancher Konjunkturen über die Jahrzehnte nicht gelungen ist, ihre zeitweiligen Erfolge in dauerhaften politischen Einfluss zu übersetzen. Richtig ist allerdings auch, dass keiner ihrer Anläufe so erfolgreich war wie der gegenwärtige.

Das besorgniserregend Neue sind nicht die alten Parolen, von denen wir einige als Überschriften für die folgenden Kapitel verwenden. Schaut man genauer hin, haben sich die rechten Sprüche über die Jahrzehnte kaum verändert. Neu aber ist, dass und in welchem Ausmaß die unermüdlich recycelten Forderungen nach »Schlussstrich« und »sicheren Grenzen«, nach einer heilen Geschichte, einer »reinen« Nation und nationalstolzen »Leitkultur« auf Resonanz stoßen. Plötzlich erzielen sie, wie von einer Welle getragen, politische Wirkungsmacht – und verunsichern sogar Menschen, die von sich sagen, mit rechten Überzeugungen nichts im Sinn zu haben.

Dass der Nationalismus – ein im19. Jahrhundert entstandenes politisches Konzept – wieder derart attraktiv geworden ist, stellt eine ebenso gefährliche wie erklärungsbedürftige Entwicklung dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich vor allem im Westen, langsam aber sicher und weit über die akademische Forschung hinaus, die Erkenntnis durchgesetzt, dass »Nationen« Imaginationen sind; dass sie, wie der amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson