prolog
Los Angeles, 2010
Als Bild ist es schön – ein joggender Mann, über seiner einen Schulter die San Gabriel Mountains, über der anderen der Anstieg des Hollywood Freeway, der zum Bogen über den Pasadena Freeway ansetzt. Sein Oberkörper ist nackt, unter der gebräunten Haut spielen Schwimmermuskeln, die Arme pumpen im Takt zum Eins-Zwei der Füße. Man könnte ihn direkt beneiden.
Sieben Uhr früh, und im Stadtzentrum staut sich schon der Verkehr, kommt zum Erliegen, während Autos fünf Fahrspuren zu queren versuchen, sich so stockend vorwärtsarbeiten, dass ihr Vorankommen mit dem Auge kaum wahrnehmbar ist. Vom Pasadena Freeway her fädeln sie sich auf den Hollywood oder den Santa Ana Freeway ein, und das dauert. Nur er bewegt sich frei, läuft entgegen dem Pendlerfluss zwischen den eingekeilten Autos hindurch.
Die Fahrer hinter ihren Lenkrädern starren ihn an, kurzzeitig abgelenkt von ihrem Gefummel mit den Radiosendern, dem Make-up, das sie im Rückspiegel auflegen, den Telefonaten mit Freunden an der Ostküste, deren Tag schon voll ausgeformt ist. Sie sind extra früh aufgebrochen, um dem Stoßverkehr zu entrinnen, diesem fatalen Ausgebremstsein am Morgen. Sie haben alles durchgerechnet, die Dauer ihres Wegs nach der Formel veranschlagt: Strecke durch Geschwindigkeit. Dennoch stehen sie nun Stoßstange an Stoßstange. Für diese Stadt der Autofahrer ist der Mann eine Ohrfeige.
Er läuft unberührt von all den Opfern, die diese Pendler zu Hunderten gebracht haben, um pünktlich im Stau festzustecken – das Frühstück ausgefallen, die Kinder nicht mehr gesehen, der Ehemann allein daheim im Bett, die Nacht viel zu kurz, der Tankstellenkaffee eine dünne Plörre, die Fahrgemeinschaft ein Quell des Verdrusses, dazu der entgangene Schlaf, die eilige Dusche, die Kleider von gestern, das Make-up von gestern.
Er ignoriert die Autofahrer, die in ihre klimatisierten Wagen eingekapselt sind, gefangen im ersten Nachrichtenzyklus und der Leier vonRadio Top 40. Er zieht vorbei an den kleinen Verzweiflungen des Morgens, den schon im Keim angelegten Problemen, der Sehnsucht danach, anderswo zu sein, egal wo, nur nicht hier, heute und morgen und all die anderen Tage, die verklumpen zu einem stadtweiten Gewirr von Freeways und gesperrten Fahrspuren und Staumeldungen – ein ganzes Dasein, verengt aufs Stop-and-go.
Sein Blick ist gelöst, ein Marathonläufer auf halber Strecke, aufs Ziel fokussiert und noch nicht überwältigt von der Entfernung. Er läuft unangestrengt. Aber die Frau in dem verbeulten Cabrio wird später sagen, er hätte ganz klar irgendetwas genommen. Der Mann mit dem frisierten Hatchback wird erzählen, dass ermega high war,die volle Dröhnung, total durchgeknallt, ey. Ein paar junge Mädchen in einem SUV weit über ihre Verhältnisse, die ihn kaum wahrgenommen haben, werden berichten, dass er aussahwie ein Superheld, aber keiner von den coolen.
Der Tag ist von einem unbestimmten, wetterlosen Grau. Die Sonne verspätet sich wie alles andere an diesem Morgen. Über den Bungalows von West Adams und Pico-Union, südlich der 10, hat die Luft eine apokaly