: Jean-Baptiste Del Amo
: Tierreich
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957577382
: 1
: CHF 21.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 440
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Während Europa von Kriegen und Umwälzungen erschüttert wird, kämpft eine Familie von Schweinezüchtern um ihr Fortbestehen - und nutzt die in immer größerem Maßstab stattfindende Ausbeutung des Rohstoffs Tier, um sich in unsere heutige, hochindustrialisierte Welt hinüberzuretten. Éléonore, Kind eines kranken Vaters und einer lieblosen Mutter, erbt Anfang des 20. Jahrhunderts von ihren Vorfahren Schweine und die Gewissheit, dass Gewalt gegen Mensch und Tier zum Leben dazugehört. Mit Disziplin und unbändiger Härte gegen sich selbst allen Schicksalsschlägen trotzend, hält sie den landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht und versteht es, ihn über die Jahrzehnte hinweg zu vergrößern und später ihrem Sohn Henri zu übergeben. Achtzigjährig erlebt die erschöpfte Matriarchin schließlich, wie dieser mit ihren Enkeln Serge und Joël den familiären Zuchtbetrieb zu einer gigantischen, die Ressource Tier grausam ausbeutenden Tierfabrik ausbauen. Das anonymisierte Elend der Schweine spiegelt nicht nur den Wahnsinn dessen, was die Menschheit unter Fortschritt versteht, sondern wirft auch die Frage auf: Wer sind die eigentlichen Bestien?

Jean-Baptiste Del Amo, 1981 in Toulouse, Frankreich, geboren, ist Schrifststeller. Nachdem er für seinen Debütroman Die Erziehung den Prix Goncourt erhielt, wurde er für seinen vierten Roman Tierreich mit dem Prix du livre inter ausgezeichnet.

Kaum dass der Frühling sich zeigt und bis spät in den Herbst hinein setzt er sich abends auf die kleine Bank aus genageltem und wurmstichigem Holz, mit der abschüssigen Sitzfläche, unter dem Fenster, dessen Rahmen in der Nacht ein kleines Schattenspiel auf der Steinfassade auslöst. Drinnen auf dem Tisch aus massiver Eiche hechelt eine Öllampe, und das ewig knisternde Feuer im Kamin wirft auf die mit Salpeter überzogenen Wände den geschäftigen Schattenriss der Ehefrau, schwingt ihn hinauf zu den Deckenbalken oder bricht ihn in einer Zimmerecke, und dieses gelbe, flackernde Licht bläht den großen Raum auf, durchbricht dann die Dunkelheit des Hofes und zeichnet den Vater im Umriss, bewegungslos und schwarz, in einer Art Gegenlicht. Im Wechsel der Jahreszeiten erwartet er die Nacht auf dieser Holzbank, derselben, auf der er bereits seinen Vater vor ihm hat sitzen sehen und deren moosbewachsene und mit den Jahren morsch gewordene Füße immer mehr nachgeben. Wenn er dort sitzt, ragen die Knie bis hinauf an seinen Bauch, sodass er Schwierigkeiten hat, wieder hochzukommen, dennoch hat er nie daran gedacht, die Bank durch eine neue zu ersetzen, und bliebe von ihr auch nur ein letztes heiles Brett am Boden. Er glaubt, dass die Dinge so lange wie möglich so bleiben sollten, wie er sie immer gekannt hat, so wie andere vor ihm sie als gut erachtet haben oder so wie ihr Gebrauch sie eben hat werden lassen.

Wenn er vom Feld zurückkommt, zieht er sich gegen den Türpfosten gestützt die Schuhe aus, kratzt den Dreck sorgfältig von den Sohlen, bleibt auf der Zimmerschwelle stehen, wo er die feuchte Luft einsaugt, den Atem der Tiere, die strengen Dünste von Ragout und Suppe, von denen die Fenster beschlagen sind, so wie er einst als Kind stehen geblieben war und wartete, bis seine Mutter ihm bedeutete, er solle sich an den Tisch setzen, oder sein Vater zu ihm kam und ihn mit einem kleinen Stoß gegen die Sch