: Ute Frevert
: Kapitalismus, Märkte und Moral
: Residenz Verlag
: 9783701746064
: 1
: CHF 11.70
:
: Soziologie
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ausgehend von den gegenwärtigen Forderungen nach einer 'moralischen Ökonomie', beleuchtet Ute Frevert das schwierige Verhältnis von Kapitalismus und Moral und die Frage, ob grundsätzlich und unterschiedslos alle Waren und Beziehungen dem kapitalistischen Marktmodell eingepreist werden sollten. Diese ist in der gegenwärtigen Debatte um gemeine Güter wie Wasser oder Dienstleistungen, wie Sterbehilfe oder Prostitution aktueller denn je. Spannend ist auch Freverts Darstellung der Erwartungen an Fairness, Gerechtigkeit, Solidarität all jener, die als Produzenten oder Konsumenten an den heutigen globalisierten Märkten teilnehmen. Welche Konsequenzen haben diese Erwartungen? Können sie die Märkte verändern? Und wie haben sich Moral und ökonomische Praxis in der Moderne entwickelt?

Ute Frevert, geboren 1954, zählt zu den prominentesten deutschen Historikern. Sie lehrte Neuere Geschichte in Berlin, Konstanz und Bielefeld. Von 2003 bis 2007 war sie Professorin an der Yale University, seit 2008 leitet sie den Forschungsbereich 'Geschichte der Gefühle' am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie wurde 1998 von der DFG mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet und erhielt 2016 das deutsche Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Zuletzt erschienen: 'Die Politik der Demütigung. Schauplätze von Macht und Ohnmacht' (2017), zuletzt bei Residenz 'Märkte und Moral' (2019).

II Die moralische Ökonomie der Armut


Armut war, anders als Engels behauptete, kein Kind der industriellen Revolution. Auch vorindustrielle Gesellschaften kannten sie. Lebensmittelknappheit trat nicht zuletzt in den periodischen Hungerkrisen auf, die auf Missernten oder Kriege folgten. Das Bild der armen Leute, die sich in den patriarchalischen Verhältnissen des 17. und 18. Jahrhunderts gemütlich eingerichtet hätten, war ebenso schief wie die Vorstellung, es habe damals eine rundweg harmonische Beziehung zwischen Arm und Reich gegeben.

Was es hingegen gab, war eine »moralische Ökonomie«, die den wohlhabenden Schichten und der Obrigkeit bestimmte Verbindlichkeiten auferlegte. Auf deren Balance und Gerechtigkeit wurde sorgsam geachtet; Verletzungen traditioneller Ansprüche und Erwartungsenttäuschungen riefen regelmäßig Unruhen und Aufstände hervor. Kamen Obrigkeit und Wohlhabende ihren angestammten Pflichten gegenüber vermögenslosen Bevölkerungsgruppen nicht nach, reagierten diese mit Empörung und forderten lautstark, die alten Verhältnisse wiederherzustellen.1

Dazu gehörten eine gesicherte und kontrollierte Lebensmittelbewirtsch