: Robert Jungk
: Die Zukunft hat schon begonnen Amerikas Allmacht und Ohnmacht
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783688100620
: 1
: CHF 10.00
:
: Politik
: German
: 234
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses Buch, das bereits kurz nach seinem Erscheinen in alle Weltsprachen übersetzt wurde, ist eines der großen Dokumente seiner Zeit und hat im Bewußtsein aller Menschen, die Auge in Auge mit den Gefahren ihres atemraubenden Säkulums leben, eine unverlierbare Spur hinterlassen. Es ist das Werk eines ordnenden, kritischen Geistes, der auf die Suche nach neuen moralischen Maßstäben geht. Soll, so fragt der Autor, eine sich ins Phantastische steigernde, das Individuum nahezu auslöschende Technik zum alles verschlingenden Moloch werden oder lassen sich aus ihr dienende, segenbringende Kräfte entbinden? Das Leben des einzelnen wie der ganzen Menschheit hängt von der Beantwortung dieser Frage ab. Was Geschichtsphilosophen und Kulturkritiker denken, was Dichter in utopischen Romanen ausmalen, das ist hier zum Wirklichkeitsrecht geworden. Robert Jungk schreibt nüchtern und sachlich, und doch spürt man aus jeder Zeile die Unruhe eines Mannes, der sich fragt, ob in unserer durch und durch technisierten, von eisiger Rationalität bestimmten Welt der Mensch überhaupt noch eine Chance habe, sich als Mensch zu behaupten.

Robert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren und starb 1994 in Salzburg. Er arbeitete nach 1933 in Frankreich und im republikanischen Spanien an Dokumentarfilmen und schrieb von 1940 bis 1945 für die «Weltwoche» in Zürich. Er hatte einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin und war Vorsitzender der Gruppe «Mankind 2000» in London. Das Thema, das er in «Die Zukunft hat schon begonnen» anschlug, wurde später in «Heller als tausend Sonnen» (1956) und «Strahlen aus der Asche» (1959) vertieft, international berühmten Büchern, die eindringlich vor den Gefahren der entfesselten Atomkraft warnen. Sein 1973 veröffentlichtes Buch «Der Jahrtausendmensch» führte 1975 zur Gründung einer «Fondation pour l'invention sociale», die Ansätze zu einer humaneren Technologie und Gesellschaft koordinieren und fördern soll. 1977 veröffentlichte er «Der Atom-Staat», eine eindringliche Warnung vor den entmenschlichenden Folgen einer uneingeschränkten Atomenergie-Nutzung.

Keine Zeit für Gefühle


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Omaha, Nebraska

Omaha in Nebraska – das ist immerhin eine Stadt von ein paar hunderttausend Einwohnern. Aber in New York, in Chicago oder Los Angeles sprechen sie davon, als sei es der typische kleine Provinzort, irgendwo in den «backwoods», den «hinteren Wäldern» gelegen. Nun gibt es in und um Omaha schon lange keine Wälder mehr. Es liegt mitten im überreichen flachen Ackerland des Mittelwestens, eine zufällige Ansammlung von Asphaltstraßen und Stadthäusern – darunter sogar ein paar Wolkenkratzer – wächst ganz widersinnig und fremd aus all dem endlosen Grün und Gelb der Äcker heraus. Aber irgendwo muß ja das Vieh verkauft und geschlachtet, die Ernte versichert und angeboten werden, die Züge müssen auf ihrer langen Fahrt von Ost nach West und vom Atlantik zum Pazifik Kohlen laden, Wasser nehmen und die Maschinen wechseln können. Und so entstand, wuchs, gedieh Omaha, die Stadt, die jeder braucht und niemand achtet.

Noch unnatürlicher wirkt in dieser bäuerlichen Umgebung die Ansammlung flacher moderner Gebäude am Stadtrand von Omaha. Sie passen einfach nicht zu den gemütlichen roten Scheunen, den trägen Windmühlenrädern und den prallen Silos in der Nachbarschaft. Wie Eisdecken, die. aber selbst am heißesten Julitag nicht schmelzen, liegen ein paar Landstreifen mitten in prangenden Maisfeldern. Das lateinische Motto, unter dem diese Siedlung steht, ist in Wappenform gleich neben dem Eingangstor zu lesen. Es lautet: «MORS AB ALTO» – «Tod aus der Höhe».

«Offutt Field» heißt dieses Stückchen «neueste Welt» im fruchtbaren Nebraska. Ein Militärflugfeld wie Dutzende anderer amerikanischer «Air Force Bases», die seit 1941 gebaut wurden, auf den Namen eines zu Tode gestürzten Piloten getauft. Und es ist ein Flugplatz von ganz besonderer Bedeutung, vielleicht der schicksalsträchtigste derUSA. Denn in diesen nagelneuen, wenn auch unscheinbaren Bürogebäuden, die in Anlehnung an eine ehemalige Reiterkaserne gebaut wurden, befindet sich der Hauptsitz des «Strategic Air Command», dem im Kriegsfalle die Leitung aller überseeischen Bomberaktionen anvertraut ist. Gerade hier in der «tiefen Provinz», in der Hochburg des einst weltabgewandten Isolationismus, ist der Mittelpunkt eines Stützpunktsystems, das fünf Kontinente überzieht.

Und jeder dieser fernen Stützpunkte kann im Flug fast genauso schnell erreicht werden, wie der in Omaha haltende transkontinentale Schnellzug braucht, um an eine der beiden Küsten Amerikas zu gelangen.

Betritt man die durch Klimaanlagen angenehm abgekühlten Büros von Offutt Field, so ist der erste Eindruck keineswegs bedrückend oder gar geschichtsschwanger. Amerikanische Militärinstallationen wirken ja selten so düster und unheildrohend wie europäische Kasernen. Selbst hier, wo ein für seine forsche Rauheit und strenge Disziplin berüchtigter General kommandiert, erinnert die Büroatmosphäre eher an einen «country club».

Der diensttuende Offizier spricht gerade mit Seattle, aber es geht dabei anscheinend nicht um den Transport von Bomben, sondern um die Vorbereitung eines Wochenendtrips. «Natürlich bringen wir Fischgeräte mit», plaudert der Mann in Khaki vergnügt. «Und ihr drüben sorgt für die Filmkamera. Farbenfilm … Ja, unbedingt … Und noch eins: der General trinkt keinen Scotch. Er ist ein hundertprozentiger Bourbonmann. Okeydoke. Hasta Mañana.»

Durch die offene Bürotüre ist ein breitschultriger, etwas dicklicher Offizier eingetreten. Er sieht weder nach rechts noch nach links, nicht den schlaksigen rothaarigen Adjutanten, der ihm mit unterzeichnungsbereiten Papieren in der Hand gefolgt ist, nicht die hübsche blonde Sekretärin, die seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte, und schon gar nicht den fremden Zivilisten, der immer noch wartend vor einer Weltkarte steht. Die ist auf eine neue, ungewohnte Manier gezeichnet. Hier liegt die Landmasse derUSA nicht wie sonst üblich auf der westlichen Seite, sondern breit in der Mitte des Planes und darum herum gegen die Kartenränder zu gruppieren sich artig die anderen Kontinente. Fast genau in der Mitte derUSA befindet sich ein schwarzer Punkt, unter dem die Worte «Offutt Field» (Omaha) zu lesen sind. Und in der Mitte von Offutt Field, im Zentrum aller Erdteile und Meere und Inseln steht jetzt dieser untersetzte Klotz von Mann, der die ausgegangene Zigarre nicht einmal aus dem