: Amitav Ghosh
: Der Glaspalast
: Blessing
: 9783641249809
: 1
: CHF 6.20
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 624
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine faszinierende Familiensaga - und zugleich eine dramatische Liebesgeschichte

'Der Doktor Schiwago des Fernen Osten' (INDEPENDENT ON SUNDAY) fand mit seinem farbenprächtigen Epos über Liebe und Krieg in einem exotischen Land auf der ganzen Welt begeisterte Leser und war auch bei den Kritikern ein Riesenerfolg. Dieser erste große Roman über das geheimnisumwitterte Birma erzählt die Geschichte des jungen Rajkumar, der in einer Imbissbude auf dem Markt von Mandalay 1885 Zeuge des Einmarsches der britischen Truppen wird. Entsetzt beobachtet er die Plünderung des Glaspalastes und muss mit ansehen, wie die Königsfamilie ins Exil gejagt wird. Im Gefolge sieht er die Dienerin Dolly und ist von ihrer Schönheit so bezaubert, dass er ihr Gesicht nie mehr vergisst ...

Amitav Ghosh wurde 1956 in Kalkutta geboren und studierte Geschichte und Sozialanthropologie in Neu-Delhi. Nach seiner Promotion in Oxford unterrichtete er an verschiedenen Universitäten. Mit 'Der Glaspalast' gelang dem schon vielfach ausgezeichneten Autor weltweit der große Durchbruch. Zuletzt erschien seine Romantrilogie 'Das mohnrote Meer', 'Der rauchblaue Fluss' und 'Die Flut des Feuers' (2016) bei Heyne. Ghosh lebt in Indien und den USA.

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Wenn die Flüsse anschwollen, begann für Rajkumar und Saya John die geschäftigste Zeit des Jahres. Alle paar Wochen luden sie eine Fuhre Säcke, Kisten und Steigen auf eines der Flussboote der Irawadi-Dampfschiff-Gesellschaft: ratternde Raddampfer, deren Kapitäne zum größten Teil Schotten waren und hauptsächlich mitkhalasis aus Chittagong bemannt, wie auch Rajkumar einst einer werden wollte. Von der Wucht des reißenden Flusses getrieben, schossen sie von Mandalay flussabwärts, mit einer Geschwindigkeit, die sämtliche Fahrpläne der Schifffahrtsgesellschaften über den Haufen warf. Bei Sonnenuntergang, wenn es Zeit war, für die Nacht zu ankern, landeten sie meistens an irgendeinem kleinen Flussweiler, der aus nichts weiter als einer Hand voll strohgedeckter Hütten bestand, die sich wie gekrümmte Finger um den Exerzierplatz einer Polizeistation drängten.

Wie winzig das Dörfchen auch sein mochte, um den vor Anker liegenden Dampfer bildete sich stets sofort ein kleiner Markt: Hausierer, Imbissbetreiber, fliegende Bootshändler, Verkäufer mit gebratenenbaya-gyaws und Schnapsbrenner mitgazaw-Schnaps kamen mit ihren Waren herbeigeeilt, hoch erfreut über die unerwartete Flut von Kundschaft. Manchmal erreichte die Nachricht von der Ankunft des Dampfers auch eine Truppe wandernder Künstler. Bei Einbruch der Dunkelheit tauchten dann, begleitet von einem Quakkonzert, Schattentheater auf; über der Uferböschung wurden Puppen zum Leben erweckt. Die unheimlichen, zuckenden Umrisse desbodaw und desbayin, derminthami und desminthagyi, dernat-kadaw und desnan belu ragten aus der Dunkelheit hervor, ebenso riesig und vertraut wie die Schatten des Mondes.

Saya John zog es vor, erster Klasse zu reisen, in einer Kabine. Seine Geschäfte florierten, er konnte das Geld mit vollen Händen ausgeben. Er war in ein großes Haus gezogen, das auf der Dreiunddreißigsten Straße in Mandalay lag – ein Heim für Rajkumar wie auch für alle anderen, die in irgendeiner Weise für Saya John arbeiteten. Mit dem Einmarsch der Briten hatte sich alles geändert: Birma war rasch in das Empire eingebettet und gezwungenermaßen in eine Provinz der Kolonie Indien verwandelt worden. Mandalay, einst Sitz des Hofes, hatte sich in ein geschäftiges Handelszentrum verwandelt; die Schätze des Landes wurden mit einer Energie und Effizienz ausgebeutet, von der man bis dahin nicht zu träumen gewagt hatte. Der Palast war umgestaltet worden und diente den zweifelhaften Vergnügungen der Eroberer; der Westflügel beherbergte nun den British Club; der einstige Audienzsaal der Königin war zum Billardsalon umfunktioniert worden; monatealte Ausgaben vonPunch undThe Illustrated London News zierten die verspiegelten Wände; die Gärten waren umgegraben worden, um Platz zu schaffen für Tennisplätze und Polofelder; das erhabene kleine Kloster, in dem Thebaw sein Noviziat absolviert hatte, war in eine Kirche umgewandelt worden, in der Anglikanerpriester den britischen Truppen ihren Segen erteilten. Mandalay, so munkelte man hinter vorgehaltener Hand, würde wohl bald zum Chicago Asiens werden. Wohlstand war die nahe liegende Bestimmung für eine Stadt, die den Zusammenfluss zwei der größten Ströme der Welt bewachte: Irawadi und Chindwin.

Saya John machte große Gewinne mit der Lieferung von Versorgungsgütern und Proviant an die Teaklager.

Er war kein Mann von großem Lux