Wenn in der Öffentlichkeit über die deutsche Kolonialgeschichte gesprochen wird, dann erscheint als Ausgangspunkt gewöhnlich das späte19. Jahrhundert; der Zeitpunkt, als das Deutsche Reich begann, Gebiete in Übersee in Besitz zu nehmen. Doch die Beteiligung von Deutschen an der europäischen Expansion geht viel weiter zurück, bis ins Zeitalter der sogenannten Entdeckungen im15. und16. Jahrhundert. Im Geschichtsunterricht werden die Familien Fugger und Welser aus Augsburg als Kaufleute und Finanziers präsentiert, die bereits zu jener Zeit mit ihren zahlreichen Geschäften in der ganzen Welt agierten. Im Jahr2014 eröffnete in Augsburg erstmals ein Museum zu den beiden Dynastien. Im Flyer des Hauses wird ein »Erlebnis« von Augsburgs »goldener Zeit« versprochen, einer Zeit, in der die Kaufleute »Waren nach Indien und Amerika schickten und die große Politik beeinflussten«. Im Augsburger UnternehmensmagazinTatendrang, das sich2015 dem Museum widmete, werden Fugger und Welser im Neusprech für Globalisierung vorgestellt: Bei ihnen war schon alles »Global Market«, »Networking«, »Wireless Communication« etc. In einem Beitrag werden sie als »Handelsgenies« gepriesen, und das Gespräch mit einem Wirtschaftshistoriker trägt die Überschrift: »Prädikat: Unbedingt nachahmenswert!« Nun schauten insbesondere die Welser zweifellos mutig auf Handelsrouten weit über ihre Stadt hinaus. Sie hatten eine erstaunlich globale Perspektive in einer Zeit, als die buntscheckige Ansammlung von Fürsten- und Bistümern, die locker vereint das Heilige Römische Reich deutscher Nation bildete, überwiegend mit sich selbst und der Reichsreform beschäftigt war.
Allerdings haben zeitgenössische Darstellungen über manche der überseeischen Unternehmungen der Welser weniger Angenehmes zu sagen. In seinem berühmtenBericht von der Verwüstung der westindischen Länder von1542 erwähnt der Dominikanermönch und spätere Bischof von Chiapas, Bartholomé de Las Casas, auch die nahezu dreißig Jahre währende Anwesenheit der Welser im heutigen Venezuela. Er nennt die Deutschen »eingefleischte Teufel«: »Sie wüteten weit grausamer unter ihnen (den Ureinwohnern;MT), als alle bereits erwähnten Barbaren; ja noch viehischer und rasender, als die blutgierigsten Tiger und wütigsten Wölfe und Löwen. Vor Geiz und Habsucht handelten sie weit toller und verblendeter, als alle ihre Vorgänger, ersannen noch abscheulichere Mittel und Wege, Gold und Silber zu erpressen, setzten alle Furcht vor Gott und dem Könige, und alle Scham vor Menschen hintenan; und da sie so große Freiheiten genossen, und die Jurisdiktion des ganzen Landes in Händen hatten, so vergaßen sie beinahe, daß sie Sterbliche waren.«
Las Casas nennt eine Reihe von besonders grausamen Beispielen und spricht von vier bis fünf Millionen Opfern. Nun war er für seinen Furor bekannt, und sicher können die Zahlen übertrieben sein. Doch selbst wenn sie massiv heruntergerechnet werden, bliebe die Anzahl der Opfer immer noch bedeutend. Umso erstaunlicher ist, dass davon in der Bundesrepublik kaum etwas bekannt ist. Die Kaufleute der Welser hatten sich sogleich für die Möglichkeiten des überseeischen Handels interessiert, als die Kunde von Vasco da Gamas und Christoph Kolumbus’ Reisen zu ihnen nach Augsburg drang. Sie knüpften zunächst Kontakte mit Lissabon und durften sich bereits1505 mit drei Schiffen an einer portugiesischen Plündertour an die heutigen Küsten von Kenia und Tansania beteiligen. Bald darauf aber war Portugal nicht mehr bereit, Ausländer an solchen Expeditionen teilhaben zu lassen, und so