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Donnerstag, 29. August, 17:53 Uhr
Konrad
Für ein gutes Leben hatte Konrad Michaelsen ein simples Rezept: Man musste nur konsequent alles Schlechte vermeiden. Denn während niemand mit Gewissheit sagen konnte, was genau zu Glück und Erfolg führte, war das Gegenteil – also der Weg in die Misere – wesentlich leichter zu bestimmen. So lautete Konrads Maxime schlicht: Lass alles weg, was dir nicht guttut.
Und die Liste der Dinge, auf die das zutraf, war lang. Länger noch als die Chinesische Mauer, länger als die Panamericana und der Amazonas zusammen. Da Konrad akribisch Buch führte über die schlechten Erfahrungen, die er gemacht hatte und die es deshalb künftig zu umgehen galt, erweiterte sich sein persönlicher Negativkatalog Tag für Tag. So enthielt die Liste mittlerweile neben Binsenweisheiten wie »Drogen- und Alkoholkonsum«, »ungeklärter Streit« oder »weniger als acht Stunden Schlaf« auch exotischere Einträge wie »Flaschenrückgabe am hakenden Leergutautomaten imREWE City Nord«, »unnötige Impulskäufe« oder »Haare kürzer als drei Zentimeter tragen«.
Nachrichten – vor allem solche aus sensationsgierigen Boulevardmedien – versuchte er, so gut es ging, zu ignorieren, einzig die Tagesschau um acht sah er sich hin und wieder an, um nicht komplett aus der Welt zu fallen. Er hörte keine traurigen Liebeslieder, sah sich keine Kriegsfilme oder Dramen an und legte großen Wert darauf, sich über nichts und niemanden aufzuregen.
Konrad Michaelsen wollte ein wohltemperiertes und ruhiges Leben, und was ihn ärgerte oder nervte oder bekümmerte, notierte er in einem kleinen schwarzen Notizbuch, das er immer bei sich trug. Hier schrieb er es auf, legte es quasi ab – und ließ es so zwischen den Seiten zurück.
Was Konrad als aufnahmewürdig für seine Liste erachtet hatte, blieb von diesem Zeitpunkt an ohne Wenn und Aber in dieser »Todesschublade«. War die Entscheidung erst einmal getroffen, von etwas Abstand zu nehmen, hielt er sich daran. Denn auch das hatte er mit den Jahren gelernt: Entschlüsse durfte man nicht anzweifeln. Stattdessen musste man sie wie ein Gelübde behandeln, sie wie ein unumstößliches Gesetz befolgen. Es machte das Leben so viel leichter, wenn man weder Kraft noch Energie darauf vergeudete, sich wieder und wieder neu entscheiden zu müssen. Prinzipienreiterei als Quelle des inneren Friedens, darin sah er keinerlei Widerspruch.
Konrads Blick wanderte zum rechten oberen Rand seines Computermonitors, wo die digitale Uhr verkündete, dass es nur noch gut fünf Minuten bis zum Feierabend waren. Auch da war er strikt: Gearbeitet wurde von 7:30 bis mindestens 15 Uhr und bis maximal 18 Uhr, mit einer Pause von 12 bis 12:30 Uhr. Nie am Wochenende, niemals. Ganz gleich, was anlag. Zur Not fing er bei Bedarf unter der Woche auch mal um 5 Uhr morgens an oder arbeitete bis weit nach Mitternacht durch, aber sowohl der Samstag als auch der Sonntag waren ihm heilig. Punkt.
Wenn er darüber nachdachte, wie sein Leben vor einigen Jahren gewesen war – es hätte unterschiedlicher nicht sein können. Aber auch an »früher« hatte er schon vor langer Zeit einen Haken gemacht, genau wie an all die Dinge, die seinem