2.
Wenn du jemanden ficken willst, fick ihn richtig! Heute war der Tag, und sie kannte die Stunde. In ihrem Leben gab es keine fließenden Übergänge mehr. Nur noch harte Konturen. Sie zog ihre Kapuze tiefer ins Gesicht. Das Wetter passte zum Anlass. Es passte zu ihrem Leben. Es warihr Wetter: Regen. Schon seit Stunden, ohne Unterlass. Sie war sich sicher, dass er kommen würde. Natürlich zu früh, um die Gegebenheiten zu überprüfen. Und er würde seine Familie mitbringen. Obwohl er Berlin nicht gern verließ. Sie sah die Örtlichkeiten ganz klar vor sich: den Parkplatz, ein Teil geschottert, der andere Teil nicht mehr als ein aufgeweichter Acker. Den Zaun, das Feld, die Straße, die hier eine scharfe Kurve machte. Selbst wenn jemand vorbeikam, würde er den Parkplatz schnell passieren. In dieser einsamen Gegend ohnehin ein unglaublicher Zufall. Wer kam schon diesen Berg herauf? Die Wanderzeit war vorbei, die Kühe ins Tal getrieben. Hier gab es nichts mehr, was den Weg hinauf lohnte. Außer diesem Treffen, auf das Youri nicht verzichten würde. Nicht verzichten konnte oder wollte.
November forderte dafür einen Gefallen ein, und er war ihr ohne Zögern bewilligt worden. November vernahm Dezembers Stimme durch das Telefon.
Diese flüsterte: »Die Ware ist gerade angekommen.« Dann ertönte nur noch das Besetztzeichen. Dezember legte auf, und November ahnte bereits, warum: Dezember hatte Angst.
November wusste, dass Youri erst zwei Tage später mit einem Anruf rechnete. Diese Verzögerung würde sie zu ihrem Vorteil nutzen.
Beim zweiten Telefonat war Youris Stimme ihr noch immer ganz vertraut.
»Marokko«, sagte sie ins Telefon. Über dem Hörer lag ein Taschentuch. Er würde ihre Stimme nicht erkennen.
»Galina«, antwortete er mit einem leichten Zögern.
Und sie nannte ihm Ort und Zeit. Er würde die weite Reise nicht mögen. »Diesmal kommst du nicht allein. Bring deine Töchter mit! Und deinen Sohn. Nur sie. Es ist sehr wichtig«, befahl sie ihm.
»Warum?«
Doch sie antwortete nicht; sie legte einfach auf. Ohne Dezember, die sie einst so hasste, wäre ihr all das hier versagt geblieben. November musste sich eingestehen, dass nichts im Leben ohne Konsequenzen blieb.
November:
November kannte sich mit diversen Dingen gut aus: unter anderem mit Schusswaffen, Männern und mit Zigaretten. Sie konnte nicht kochen, nicht weinen oder länger als unbedingt notwendig in einem Bett liegen. Sie trug Männerunterwäsche, hatte auf ihrer linken Körperhälfte einige unansehnliche Narben und eine Aversion gegen Fellatio. Sie besaß gegen zahlreiche andere Dinge eine Abneigung (Orangen, Bärte, Temperaturen über dreißig Grad), was sie jedoch noch nie daran gehindert hatte, all dies gelegentlich zu akzeptieren. Sie hätte gern einen bestimmten Menschen gekannt: ihren Vater. Sie hatte nur einen einzigen Menschen in ihrem Leben geliebt: ihre Mutter. Durch einen unglücklichen Zufall hatte ihre Mutter die falschen Menschen kennengelernt, die falschen Entscheidungen getroffen und die falschen Drogen genommen. Sie war zu früh gestorben, was gut für sie selbst, aber unendlich schrecklich für ihre Tochter war. Das Ausmaß des Schreckens begriff diese erst spät, andeutungsweise jedoch schon in anderer Form, als sie mit zwölf Jahren zum ersten Mal Herrenbesuch bekam. Damals trug sie noch einen anderen Namen, und die Männer um sie herum sprachen Russisch. Später sprachen die Männer Deutsch oder die universelle Sprache Geschlechtsverkehr. November sprach gut Russisch, akkurates, wenn auch nicht akzentfreies Deutsch; sie sprach fließend Geschlechtsverkehr. Ein Freier hatte ihr als vorzeitiges Hochzeitsgeschenk eine alte Makarow vermacht. November erschoss ihn zum Dank damit. Die Sache wurde als Unfall eingestuft. Keiner der Beteiligten benötigte Aufmerksamkeit. Fü