Sonntag, 2. Juli 2017
Bist du bereit?«
Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Antoine stand mit Christian vor dem Blue Fire Megacoaster, und ihm wurde schon beim ersten Blick auf die Achterbahn übel. Sturni war nicht in Topform. Nachdem Caroline ihn verlassen hatte, ließ er sich eine Zeit lang gehen und zerfloss vor Selbstmitleid. Seinen Kummer hatte er in großen Mengen UberacherJuliette ertränkt, einem mit Ingwer und Rosenblättern gewürzten Bier aus der Region. Ironischerweise braute die Brauerei sein Lieblingsbier immer am Valentinstag und bewarb es als Elixier für Verliebte. Nur vor Christian hatte er sich immer zusammengerissen und den starken Mann gegeben. Er hatte es schon schwer genug und sollte nicht auch noch mit dem Liebeskummer seines Vaters belastet werden. Antoine hatte durch zu viel Alkohol und den Mangel an Sport etwas Fett angesetzt, und man sah seinepoignées d’amour, sein Hüftgold, deutlich unter seinem T-Shirt hervorlugen. Achterbahnen waren noch nie sein Ding, aber bei seiner aktuell schlechten körperlichen Verfassung fürchtete er ernsthaft um die Stabilität seines Kreislaufs.
»Sag mal, wollen wir nicht eine Pause machen und in einem der Themenpavillons etwas essen gehen? Wie wäre es mit Spanisch? Ich hätte Lust auf Paella und Tortillas.«
»Später, Papa! Du willst dich doch nur vor der Achterbahn drücken. Los, stellen wir uns an, und danach können wir immer noch nach Spanien.«
Es war nichts zu machen. Antoine hatte seinen Sohn hingehalten, solange es ging. Sie waren den Alpenexpress »Enzian« gefahren, Arthur und die Minimoys, die Schweizer Bobbahn, die Tiroler Wasserbahn, hatten das neue Voletarium besucht, und nun standen sie vor diesem Höllengerät.
»Okay, bringen wir es hinter uns, aber danach gehen wir nach Spanien und schlagen uns dort den Bauch voll, sofern ich nach dieser Fahrt überhaupt noch etwas runterbekomme.«
Antoine zwängte sich in den engen Sitz, und ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er nicht mehr dem Normalmaß entsprach. Für einen Einundvierzigjährigen war er ganz schön aus dem Leim gegangen. Daran musste er unbedingt etwas ändern. Ab morgen würde er sich ein Sportprogramm und eine strenge Diät verordnen. Wäre doch gelacht, wenn er die Pfunde nicht wieder loskriegen würde. Das Leben ging schließlich weiter und war schön, auch ohne Caroline. Ein Blick in Christians begeisterte Augen machte ihm klar, weshalb er sich die anstehende Tortur antat.
»Okay, mein Großer. Es kann losgehen!«
Mit einem Ruck setzte sich die Achterbahn in Bewegung. In zweieinhalb Sekunden wurden sie von null auf hundert Stundenkilometer katapultiert. Christian kreischte vor Vergnügen, während Sturni schon flau wurde, bevor sie den ersten Looping erreichten. Zum Glück hatten sie sich vor dem Essen in dieses Foltergerät gesetzt, sonst wäre sein Mittagessen wohl schon im Gesicht seines Hintermanns gelandet. Viermal überschlugen sie sich, bevor die Achterbahn wieder zum Stehen kam.
»Super, das fahren wir gleich noch mal!«
Sturni fühlte sich noch ganz benommen und hörte seinen Sohn wie von ferne jubeln. Die Sitzgurte lösten sich, und er spürte, wie Christian an seinem Ärmel zupfte.
»Komm, Papa, wir stellen uns gleich noch mal an.«
Nur langsam kehrte das Blut in seinen Kopf zurück, und es dauerte, bis er wieder klare Gedanken fassen konnte. Sein Mageninhalt war drin geblieben, er schien unverletzt, sein Herz schlug noch, alles war gut. Langsam erhob er sich und schwankte, von Christian leicht gestützt, dem Ausgang entgegen.
»Okay, ich habe mein Versprechen eingehalten, und wir sind mit dem Blue Fire gefahren, aber jetzt machen wir erst einmal Pause, einverstanden?«
Antoine war zwar jeglicher Appetit vergangen, doch er wollte die soeben erlebte Tortur keinesfalls noch einmal mitmachen. Zum Glück ließ sich Christian leicht überzeugen. Die rasante Achterbahnfahrt hatte seinen Appetit angeregt, und so spazierten sie gemütlich vom isländischen Themenbereich, wo sich der Blue Fire befand, nach Spanien. Sturni nahm seinen Sohn fest in den Arm. Es wurde höchste Zeit, dass er sich