1. KAPITEL
Belle Langtry hatte Santiago Velazquez von dem Moment an gehasst, als sie ihn erblickte.
Na ja, natürlich nicht von demgenauen Moment an. Sie war ja auch nur ein Mensch. Als sie sich zum ersten Mal auf der Hochzeit ihrer Freunde im vergangenen September kennengelernt hatten – Belle war Trauzeugin und Santiago Trauzeuge –, hatte sie sich blenden lassen von seiner Attraktivität, der Größe, den breiten Schultern und seinem muskulösen Körper. Sie hatte aufgeblickt in seine dunklen, gefühlvollen Augen und gedacht: Wow! Träume werden wirklich wahr.
Dann hatte Santiago sich dem Bräutigam zugewandt und seinem Freund angeraten, Darius könne immer noch „weglaufen“ und seine Braut am Altar stehen lassen. Und das vor Letty!
Braut und Bräutigam hatten den Vorschlag zwar hölzern belacht, doch Belle hasste Santiago seit diesem Augenblick leidenschaftlich. Jedes weitere Wort von ihm war zynischer und ärgerlicher als das vorherige. Keine zehn Minuten später stritten sich die beiden auch schon; und bis zum Ende der Hochzeit wünschte Belle sich, er würde der Welt einen Gefallen tun und sterben. So unverblümt wie sie war, konnte sie nicht widerstehen und sagte es ihm. Er antwortete mit Sarkasmus. So ging das nun seit vier Monaten.
Natürlich, dachte Belle bitter, musste er es sein, der sie hier draußen fand, wie sie auf und ab ging im dunklen, verschneiten Garten hinter Lettys und Darius’ Anwesen an der Küste. Heulend.
Zitternd in ihrem dünnen schwarzen Kleid hatte sie in der Dunkelheit auf den wilden Atlantik hinausgeblickt. Das rhythmische Getöse der Wellen passte zum Hämmern ihres Herzens.
Den ganzen Tag über hatte sie das bezaubernde Neugeborene ihrer Freundin im Arm gehalten, weil Letty die gesamte Beerdigung ihres Vaters über geweint hatte. Gegen Ende der abendlichen Trauerfeier hatte Belle der Schmerz in ihrem Herzen dann schließlich überwältigt, als sie das friedlich schlafende Baby hielt. Sanft hatte sie Letty das Kleine gereicht, eine Entschuldigung gemurmelt und sich dann in den dunklen, schneebedeckten Garten geflüchtet.
Draußen pfiff ein eisiger Wind und ließ die Tränen auf ihrer Haut gefrieren, während sie hinaus in die Dunkelheit starrte, tief betrübt vor Kummer.
Niemals würde sie ein eigenes Baby haben.
Niemals, seufzten die Wellen des Atlantiks.Niemals, niemals.
„Belle?“, hörte sie eine raue Stimme. „Bist du hier draußen?“
Santiago! Scharf atmete sie ein. Der letzte Mann, der sie so zu Gesicht bekommen sollte!
Lebhaft konnte sie sich das höhnische Grinsen auf dem Gesicht des Spaniers vorstellen, wenn er sie wegen ihrer Kinderlosigkeit in Tränen aufgelöst auffand. Sich hinter einen Baum duckend, hielt sie den Atem an und hoffte inständig, dass er sie nicht sehen würde.
„Hör auf, dich zu verstecken“, sagte er und klang amüsiert. „Du trägst ein schwarzes Kleid und stehst im Schnee.“
Zähneknirschend trat sie hinter dem Baum hervor und log: „Ich habe mich nicht versteckt.“
„Was machst du denn sonst hier draußen?“
„Ich habe einfach etwas frische Luft gebraucht“, antwortete sie verzweifelt und wünschte, er würde sie in Ruhe lassen.
Ein Lichtstrahl, der aus einem Fenster im zweiten Stock des Herrenhauses fiel, erhellte die harten Umrisse von Santiagos kraftvollem Körper in dem schwarzen Anzug und dem gut geschnittenen Kaschmirmantel. Ihre Blicke trafen sich, und sie war wie elektrisiert.
Santiago Velazquez ist viel zu attraktiv, dachte sie erschauernd. Zu sexy. Zu mächtig. Zu reich.
Darüber hinaus war er ein selbstsüchtiger, zynischer Playboy, dessen einziges Interesse seinem riesigen Vermögen galt. Wahrscheinlich besitzt er Tresorräume, in denen er schwimmen konnte, dachte sie, und sah ihn rücklings durch Hundert-Dollar-Scheine schwimmen. Und gleichzeitig die Freundlichkeit und den Respekt verhöhnen. Sie hatte gehört, dass er seine zahlreichen One-Night-Stands wie unbezahltes Personal behandelte. Belles Gesichtsausdruck verhärtete sich. Die Arme verschränkt wartete sie, bis er durch den Schnee auf sie zuschritt.
Wenige Meter vor ihr hielt er an. „Du hast keinen Mantel an.“
„Mir ist nicht kalt.“
„Ich höre doch, wie deine Zähne klappern. Hast du vor, zu erfrieren?“
„Was kümmert es dich?“
„Mich? Gar nichts“, entgegnete er sanft. „Wenn du erfrieren willst, bitte. Aber ist es nicht etwas egoistisch, Letty die Planung einer weiteren Beerdigung aufzuzwingen? Bestattungen sind so mühsam. Und Hochzeiten. Und Taufen. Das alles eben.“
„Jede menschliche Interaktion, die etwas Gefühl erfordert, muss anstrengend für dich sein“, konterte Belle.
Er überragte ihre zierliche Gestalt um knapp dreißig Zentimeter. Dass einige Frauen ihm beim SpitznamenÁngel nannte