: Josef Imbach
: Als die Armen Austern aßen Kurioses aus der Geschichte der Küche
: marixverlag
: 9783843805759
: 1
: CHF 12.60
:
: Gesellschaft
: German
: 182
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nicht selten wirkten sich gesellschaftliche und machtpolitische Entwicklungen auf die Essgewohnheiten der Bevölkerung aus. Städte und Zünfte, aber auch ganze Nationen haben immer wieder Monopolansprüche auf Nahrungsmittel angemeldet, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Ähnliches gilt für obrigkeitliche Erlasse, die dem einfachen Volk den Genuss von bestimmten Speisen oder Getränken verwehrten, oft mit der fadenscheinigen Begründung, die Gesundheit zu fördern oder die Arbeiterklasse vor Verweichlichung zu schützen. In Wirklichkeit spielten dabei sehr unterschiedliche Beweggründe eine Rolle. Fast immer ging es um Macht - und um diese durchzusetzen, griff man nicht selten auch zu den Waffen. Dass aber ausgerechnet solche Verfügungen dazu führten, dass die Armen im England des 19. Jahrhunderts sich gerade noch ein paar Austern leisten konnten, gehört zu den vielen Kuriositäten, von denen in diesem Buch die Rede ist.

Prof. Dr. Josef Imbach, geb. 1945, hatte von 1975-2002 einen Lehrstuhl für Theologie und Grenzfragen zwischen Literatur und Theologie in der Päpstlichen Theologischen Fakultät S. Bonaventura in Rom inne. Von 2005-2010 war er Lehrbeauftragter für katholische Theologie an der Universität Basel. Gegenwärtig lehrt er u. a. an der Seniorenuniversität Luzern. Bekannt wurde er durch seine vielen Vorträge und zahlreichen Buchveröffentlichungen.

Justinus Kerners versöhnlicher Feldzug gegen den Aberglauben


Vom Mittelalter bis zur Neuzeit galt der Aderlass als Allheilmittel gegen fast jede Art von Krankheit. Ärzte konnten sich allerdings nur die Reichen leisten. Und die Armen? Nahmen Zuflucht zu weniger kostspieligen Mitteln, um ihre Gebrechen zu kurieren.

In Mariazell in der Steiermark, im bayrischen Andechs, im schweizerischen Maria Einsiedeln, aber auch an anderen Wallfahrtsorten konnte man kleine Bildchen der Gottesmutter kaufen, winziger noch als Briefmarken, aber wie diese in ganzen Bogen gedruckt. Im Volk hießen diese Bilderbogen ›geistliche Nahrung‹ oder ›Essbildle‹. Die Wallfahrer verschluckten die pillenartig zusammengeknüllten Papierchen und erhofften sich davon himmlischen Segen. Auch das Vieh bekam die ›geistliche Nahrung‹ vor dem Almauftrieb. Häufig mischte man die Bildchen als Heilmittel unter Speis und Trank. Die römische Ritenkongregation billigte noch 1903 diese Praxis, sofern sie »nicht in abergläubischer Absicht« gepflegt werde.

Verwandt mit diesen Schluckbildchen (denen der in der Schweiz gebräuchliche Ausdruck ›Fresszettel‹ seine Entstehung verdankt) sind die sogenannten Schabmadonnen aus Gips oder gebrannter Tonerde, welche bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts an Marienwallfahrtsorten feilgeboten wurden. Um Krankheiten zu heilen, schabte man sich einige Partikel davon ab und nahm diese mit etwas Flüssigkeit zu sich. Um die Wirkung zu erhöhen, ließ man sie in der Regel nach dem Erwerb segnen (wohlgemerkt: nach dem Erwerb, denn mit gesegneten Gegenständen durfte nach allgemeiner Überzeugung kein Handel getrieben werden).

Noch 1950 konnten die Wallfahrenden im italienischen Loreto Steinstaub vom ›Heiligen Haus‹ erwerben, der Wohnstätte der Heiligen Familie, die angeblich von Engeln auf wundersame Weise von Nazaret ers