Rettungsgasse ist kein Straßenname
Der Weg ist manchmal doch nicht das Ziel
Hein war gut drauf, sehr gut sogar. Untrügliches Zeichen seiner guten Laune war ein etwa halbstündiger, semiwissenschaftlicher Vortrag über die Zusammenhänge der menschlichen Evolution und dem teilweise prachtvollen Haarwuchs auf Männerrücken mittleren Alters. Mit präziser Leichtigkeit zerfetzte mein Kollege überholte Ansichten über männliche Entwicklungsprozesse und pulverisierte veraltete Lehrmeinungen.
»Also, es ist so: Fell und Wärmeerhalt mögen ja vor Jahrmillionen mal eine Rolle gespielt haben. Heutzutage allerdings ist der einzige Grund, warum wir noch Haare auf dem Rücken und am Arsch haben, das koffeinhaltige Haarwaschmittel von Dr. A. Klenk.«
»Ach, ist das so?«
»Doch, in der Tat! Du weißt schon. Wir spülen uns das Zeug nur viel zu schnell vom Kopf. Und wo läuft es dann lang? Richtig, langsam über den Rücken, in die Kimme hinein, und da tropft es dann ab. Man macht sich keine Gedanken drüber, aber unter der Dusche stehen wir dann ja auch in der Suppe. Mit vierzig sehen die Füße aus wie die von einem Hobbit, bloß keiner weiß, warum.«
Meinen eigenen Haarwuchs im Geiste rasierend, lachte ich Tränen. Angst, das Lenkrad des Rettungswagens zu verreißen, hatte ich keine, denn seit fünfzehn Minuten ging es maximal im Schritttempo voran. Hein und ich standen auf der Autobahn am Stadtrand im Stau. Glücklicherweise gab es keinen Grund zur Eile. Der Feierabend lag noch Stunden entfernt, die Leitstelle wusste, wo wir steckten, und von Hunger oder Durst konnte auch keine Rede sein.
Hein hatte das Thema Körperbehaarung inzwischen beendet und widmete sich stattdessen dem Zusammenhang einer seiner Meinung nach extrem aufwendigen Weiterbildung, zu der man uns verdonnert hatte, und den damit verbundenen Erfolgsaussichten bei Online-Dating-Portalen. Er war wirklich in Hochform, und ich fühlte mich prächtig unterhalten.
»Es ist wie überall. Die wirklich wichtigen Informationen behält der Arbeitgeber für sich. Da geht’s immer um Kompetenz, Geld und Verantwortung. Aber warum ich als Endvierziger noch eine Weiterbildung zum Notfallsanitäter machen soll, obwohl ich seit zwanzig Jahren hervorragende Arbeit als Rettungsassistent leiste, das erklärt mir keiner. Der Job bleibt doch derselbe – grippale Infekte und eingerissene Fingernägel nachts um drei Uhr mit Alarm ins Krankenhaus fahren. Die echten Argumente werden leider verschwiegen. Was keiner sagt: Als Rettungsassistent kannst du bestenfalls parshippen! Aber als Notfallsanitäter, da bist du Elite und kommst auch bei den Singles mit Niveau rein!«, erklärte Hein in elitärem Tonfall und mit vielsagendem Blick.
Langsam wurde er albern. Die Staumeldung im Radio teilte mir indes unmissverständlich mit, dass ich mich noch auf mindestens neunzig Minuten unfreiwilliges Comedy-Programm einstellen konnte, als ein Disponent der Leitstelle uns über Funk ansprach: »RTW 3-1 mit der Frage nach Standort.«
Was für Hein eine Störung im Redefluss darstellte, war für mich eine Frage der Hoffnung. So amüsant mein Lieblingskollege auch sein konnte, irgendwann ging er mir dann doch auf die Nerven. Meinen Griff zum Funkhörer beäugte Hein dann auch fast vorwurfsvoll.
»Immer noch auf der Autobahn, kurz hinter der Stadtgrenze. Sehr zäh fließender Verkehr, teilweise Stau«, antwortete ich in der Erwartung, den restlichen Weg durch den Stau mit Blaulicht und Martinshorn zurücklegen zu können. Verstehen Sie mich nicht falsch. Nach über zwanzig Jahren im Beruf bin ich weit entfernt vom alarmgeilen Rettungsrambo. Doch ich gebe gern zu: Sonder- und Wegerechte sind im Stau eine extrem nützliche Sache.
»RTW 3-1. Eigentlich völlig egal, wo ihr st