: Christine Haidegger
: Nach dem Fest Erzählungen
: Otto Müller Verlag
: 9783701362639
: 1
: CHF 14.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 150
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In ihrem neuen Erzählband 'Nach dem Fest' führt uns Christine Haidegger an die unterschiedlichsten Orte: in Salzburg etwa entwirft sie ein Zukunftsszenario, in dem die Altstadt mit einer hohen Plexiglaswand eingefasst und von einer Kuppel überspannt ist. Die Touristenströme werden ebenso reguliert wie die Besucherzahl der Einheimischen, die für die Innenstadt eine Dauerkarte besitzen. In Venedig hingegen ist alles zugänglich. Dort treffen wir die Übersetzerin Anna, die einige Sommerwochen zum Arbeiten in der Lagunenstadt verbringt. Ihr Leben unter den alteingesessenen Venezianern, die Gespräche beim Weinhändler, in einem Friseursalon oder in einer kleinen Bar fernab der touristischen Attraktionen, zeigt uns einen wohltuend anderen Blick auf das mit Klischees überladene Venedig. Ernst wird es dort, wo ein einsamer Mann aufs Meer blickt und seine Frau vermisst; wo ein nicht minder einsamer eine Frau grausam tötet, in der er seine Mutter sieht. Und tieftraurig in jenem Haus in der österreichischen Provinz, in dem ein Ehepaar seit vielen Jahrzehnten zusammenlebt. Der Mann weiß nicht, wie er seiner Frau die Nachricht überbringen soll, die das Familienleben verändern wird. Er verschiebt die Aussprache auf die Tage nach dem Fest - nichtsahnend, dass auch seine Frau ein schreckliches Geheimnis mit sich trägt.

Haidegger, Christine geboren 1942 in Dortmund, aufgewachsen in Oberösterreich. Aufenthalte in England, Frankreich, Italien und den USA. Lebt seit 1964 als freiberufliche Schriftstellerin in Salzburg. Schreibt Kurzprosa, Lyrik und Romane. Hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und über ein Dutzend Literaturpreise erhalten, u.a. den Romanpreis des Österreichischen Rundfunks, den Lyrikpreis des Landes Salzburg 2005 und viele weitere. Vor allem ihre Lyrik wurde in viele Sprachen übersetzt. Nach einer Lesereise durch die USA war sie 1991 writer in residence in Virginia und 2002 erschien bei Ariadne Press in Riverside, CA, die amerikaniche Übersetzung ihres Romans Zum Fenster hinaus unter dem Titel Mama Dear. Zusammen mit H. Hofmann gründete sie das Salzburger Literaturhaus, ist dort im Vorstand, wie auch bei der IG AutorInnen und Vizepräsidentin der Grazer Autorenversammlung.

Nach dem Fest


Die Frau öffnet das Fenster. Ihr weißer Arm neben dem weißen Lack des Rahmens. Sie beugt sich vor und sieht hinaus in den Wintertag. Fröstelnd reibt sie die Arme, verschränkt sie, tritt in das Zimmer zurück. Der Mann beobachtet die Frau. Giert nach dem bläulichen Schatten in ihrer Armbeuge. Aber die Arme bleiben verschränkt.

Die Frau steht still, die Augen halb geschlossen, das Gesicht völlig ruhig. Es wird kühler im Zimmer, die weiße Gardine bewegt sich leicht. Dann tritt die Frau vor und schließt das Fenster wieder. Die Stimmen der Kinder im Hof nur mehr ein buntes Zirpen.

Jetzt wäre es Zeit, etwas zu sagen, doch der Moment verstreicht.

Der Mann zieht sich tiefer in seinen Polstersessel zurück. Die Frau hat den Raum verlassen, das Licht wird schwächer.

Hanna steht in der Küche, wie immer in der Küche, wie seit Jahren in der Küche. Das Neonlicht erhellt das dunkle Holz, das der Mann im Wohnzimmer vor Jahren ausgesucht hat. Edel und schmutzabweisend.

Aus dem Schauraum gekaufte Küche, immer schon die falsche Arbeitshöhe gewesen, etwas unpraktisch im Arbeitsablauf, immer schon zu wenig Stauraum. Menschen aus der Familie der Frau sind älter geworden, gestorben. Haben hinterlassen, vererbt. Die Oberkanten der Küchenzeile quälend voll mit ihren bäuerlichen Geräten, die sie selbst schon nicht mehr verwendet haben. Morgen ist der Tag, an dem sie wieder geputzt werden.

Strohkörbe, Mehlsiebe, blauemaillierte Kaffeekannen, dunkle Kaffeemühlen, geschwärzte Kohlebügeleisen. Der Mann freut sich. Die Preise in den Antiquitätenläden steigen. Er hat keine Erinnerung an die Frauen, die all das nach dem Krieg noch benutzt haben.

Der Tisch vor der Eckbank ist zu klein für fünf Personen. Gut, dass die Kinder außer Haus sind. Die Frau deckt den Tisch, bewegt sich fast lautlos in der Küche. Der Mann sieht ihren hellen Schatten durch die milchige Glastüre, die halb offen steht.

Er stellt den Fernseher an, rollt ihn mit dem Teewagen nach rechts, öffnet die Küchentüre ganz und nimmt seinen Platz auf der Eckbank ein, Fernbedienung in der Hand. D