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Es war der ideale Tag für eine Beerdigung. Der Himmel wirkte herbstlich und tief. Nieselregen kam in Schwaden, die Bäume trieften. Trostloser konnte die Stimmung kaum sein. Johannes stand auf der anderen Seite des Sarges, der auf den Bretternüber dem offenen Grab ruhte, und vermied es, mich anzusehen, aber es entging mir nicht, dass er sich in den Zeigefinger biss. Um seine Mundwinkel zuckte es trotzdem. Ich konnte nicht anders– ich suchte seinen Blick, aber er sah konsequent weg. Ich spürte, wie das Lachen wieder in mir hochstieg. Die Trauergemeinde war jetzt auch bis zum Grab herangekommen, der Pfarrer suchte sich einen schwankenden Platz auf den Brettern, dieüber die Grube gelegt waren, und begann zu sprechen. Eine Bö ließ die Ewigen Lichter auf den Nachbargräbern flackern und klebte ihm den Talar an die Beine. Das half auch nicht. Ich blickte schnell zu den Wolken hoch, aber sogar die sahen komisch aus. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, damit ich nicht lachen musste.
Johannes hatte damit angefangen. In der Aussegnungskapelle. Bevor wir den Sarg zuschrauben konnten, war der Pfarrer in die Halle gekommen und hatteüberall und sehr nervös nach etwas gesucht. Johannes und ich sahen uns an. Wir kannten ihn nicht, aber das hatte nicht viel zu bedeuten– wir waren ja auch Jahre nicht mehr hier gewesen. Er sah jung aus, vielleicht war er sogar noch Vikar.»Können wir helfen?«, fragte ich höflich.»Nein, nein«, winkte er leicht abwesend ab,»nur die Predigt. Ich weiß, ich hab’ sie irgendwo hier gelassen.« Er ging in der Sakristei suchen, er kam wieder in die Halle, er sah auf und unter den Stühlen nach, und schließlich, als Johannes und ich eben den Deckel anhoben, machte er eine fahrige Handbewegung, ging mit ein paar schnellen Schritten zum Sarg und hob zerstreut das Kissen an einer Ecke etwas an, als ob sich seine Predigt dort versteckt haben könnte. Im Sarg. Unter dem Kissen. Unter dem Kopf des Toten.»Nee«, murmelte er dann halb zu sich, halb zu uns,»da auch nicht.« Schließlich eilte er aus der Kapelle, und ich sah ihm verblüfft nach. In all den Jahren hatte ich so etwas noch nie erlebt. Ich sah zu Johannes hinüber; er hob auch nur die Schultern. Aber dann grinste er, zischte»Pst!« und machte eine kleine Kopfbewegung zum Sarg hin. Zuerst dachte ich, Johannes hätte die Predigt vielleicht versteckt, aber dann sah ich, was er meinte. Während ich nämlich dem Pfarrer nachgesehen hatte, hatte Johannes dem Toten eine Augenbraue nach oben gezogen. Der verstorbene Richter Bader machte auf einmal ein Gesicht, als sähe er dem zerstreuten Pfarrer leicht tadelnd hinterher.
»Nicht lustig!«, sagte ich halb betroffen und musste dann doch grinsen.
»Doch!«, sagte Johannes vergnügt, aber weil in diesem Augenblick die Tür aufging und der Organist hereinkam, konnten wir das nicht vertiefen.
Dann begann der Gottesdienst, und als sich unsere Blicke wieder trafen, als der Pfarrer das zweite Mal von»der lieben Verstorbenen« sprach, zog ich sehr langsam die Augenbraue hoch, und Johannes musste sofort wegsehen, aber sein Rücken hörte lange nicht auf zu vibrieren.
Und nun standen wir am Grab und bemühten uns, einander nicht anzusehen, aber es hatte keinen Sinn. Der Sarg war sehr schön und sehr schlicht. Er stand schwarz und nass glänzend zwischen uns. Die Blumen leuchteten in der Regenluft, und die Bänder hatte der Regen glatt auf den Lack geklebt.»Aus der Ferne in Liebe. Herbert und Eva.«–»Schlaf wohl. Deine Kollegen.« Und dann gab es ein Band, auf dem wohl»In unvergesslicher Liebe« stehen sollte, aber zwei unglückliche Falten machten den letzten Gruß zu»unerlicher Liebe.« Ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Johannes die Augenbraue wieder hob, und ich deutete unauffällig auf das Trauerband, biss mir auf die Lippen, so fest ich konnte, spürte jedoch, wie das Lachen glucksend hochstieg, und kämpfte dagegen an. Als ich aber hörte, wie Johannes leise prustende Geräusche machte, hielt ich es auch nicht mehr aus. Mit einem Hustenanfall, der niemanden täuschte, rannte ich zu einer Birke ein paar Meter weiter. Johannes tat, als müsse er mir helfen, und kam mir nach. Wir lehnten uns an den Stamm und lachten, wie es nur unter Brüdern möglich ist, versuchten, das Lachen zu unterdrücken, um nicht aufzufallen, und lachten doch hilflos immer weiter.
»Du gefühlloses Monster«, flüsterte Johannes atemlos,»du gottloses Schwein!«
Ich holte auch tief Luft.»Wir müssen den Sarg runterlassen«, keuchte ich, noch immer lachend,»hör auf jetzt! Hör auf!«
Der Pfarrer war fast am Ende seiner Ansprache und sah besorgt in unsere Richtung.»Denn von der Erde bist du genommen«, sagte er unsicher,»und zu Erde sollst du wieder werden.«
Johannes und ich kamen hinter dem Baum hervor. Wir gaben uns wirklich Mühe, aber ich glaube, jeder konnte sehen, dass hinter diesem Baum nicht getrauert worden war. Ich hustete noch ein- oder zweimal, aber wahrscheinlich konnte ich niemandenüberzeugen. Es gab jetzt mehr als eine hochgezogene Augenbraue, als wir uns zu beiden Seiten des Sarges aufstellten und die Gurte ergriffen.
»Jetzt!«, murmelte Johannes, ohne mich anzusehen, und wir hoben an. Der Friedhofsgärtner zog die Bretter weg. Wir ließen den Sarg hinunter. Ich hatte die Schleife mit der unerlichen Liebe noch glatt ziehen wollen, um