: Jan Beinßen
: Görings Plan
: ars vivendi
: 9783869133065
: 1
: CHF 13.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nürnberg 1946: Die junge Hilfskrankenschwester Margarete Galster steht im Dienste der Alliierten. An der Seite ihres Vorgesetzten, des Gefängnispsychologen William Stringer, trifft sie auf die größten Verbrecher dieser Zeit: die im Justizpalast inhaftierte Führungsriege der unterlegenen Nationalsozialisten. Keine leichte Aufgabe, denn 'Gefangener Nummer 1', der selbstherrliche Hitler-Stellvertreter Hermann Göring, versucht die junge Frau trickreich für seine Belange einzuspannen. Welchen perfiden Plan heckt der Todgeweihte aus? 68 Jahre später bekommt Rundfunkreporter Julian Heldt zufällig Wind von der Geschichte. Mit Hilfe der Volontärin Vic deckt er brisante, bislang unbekannte Details über die Nürnberger Prozesse auf. Doch seine Recherchen bleiben nicht lange unbemerkt...

Jan Beinßen, Jahrgang 1965, lebt in Nürnberg. Er hat zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht. Bei ars vivendi erschienen bisher Dürers Mätresse (2005), Sieben Zentimeter (2006), Hausers Bruder (2007), Die Meisterdiebe von Nürnberg (2008), Herz aus Stahl (2009), Das Phantom im Opernhaus (2010), Lebkuchen mit Bittermandel (2011) und Die Paten vom Knoblauchsland (2012).

 

2

»Danke, Maike, für deinen Musikwunsch, den wir dir gern erfüllen werden. Gleich nach der Werbung. Bleib dran!«

Das aufgesetzte Lächeln verschwand aus Julian Heldts Gesicht, kaum dass das rote Licht erloschen und sein Mikro tot war. Zu diesem Lächeln zwang er sich seit einiger Zeit bei seinen Sendungen, weil er erkannt hatte, dass die hochgezogenen Mundwinkel es ihm erleichterten, seine Gute-Laune-Stimme beizubehalten. Und ohne gute Laune lief es nun mal nicht in der Morning Show eines kommerziellen Radiosenders. Doch kaum ließ er das Grinsen sein, verdüsterte sich seine Stimmung und die nagenden Zweifel kehrten zurück.

War er mit seinem Job auf Dauer zufrieden, fragte sich Julian Tag für Tag. Gehörte er eigentlich noch hierher?

Schön und gut: Julian galt als Aushängeschild der Morning Show, was im Rundfunkhaus einer Spitzenposition gleichkam. So gesehen hatte er durchaus Karriere gemacht. Damit war das Ende der Fahnenstange aber auch schon erreicht. Das Rundfunkhaus bot ihm kaum noch eine Perspektive und keine weiteren Aufstiegschancen. Wohin sollte ihn ein Aufstieg denn auch führen? Von der seichten Unterhaltung am Vormittag zu der lapidaren am Abend?

Die größten Sorgen bereitete ihm der Zeitfaktor. Er war nun Mitte dreißig und hatte das Gefühl festzustecken. Die Wochen, Monate und Jahre flossen dahin, umströmten ihn immer schneller, ohne dass er selbst vorankam, während er Kolleginnen und Kollegen vorbeiziehen und die Arbeitsplätze wechseln sah.

Das hatte natürlich seine Gründe. Julian hatte sich mit seinem Leben arrangiert, wie er sich eingestehen musste, hatte die Vorzüge eines regelmäßigen Gehalts und einer gewissen Prominenz in der Stadt genossen und dabei die Tatsache verdrängt, dass er nicht das Leben führte, das ihm ursprünglich vorgeschwebt hatte. Journalist hatte er sein wollen, und zwar ein ernst zu nehmender. Ein akribischer Rechercheur und gnadenloser Aufklärer. Während seines Studiums hatte er sich in die Redaktionen vonSpiegel undSüddeutscher geträumt, gelandet aber war er im Nürnberger Rundfunkhaus, zunächst als Praktikant, später dann als fester Freier und schließlich als Frontmann der Morning Show.

»Haderst du mal wieder mit der Welt?« Die tiefe, warme Stimme gehörte zu Ingo, Julians gemütlichem Co-Moderator, dessen Breite in etwa seiner Größe entsprach. Ingo walzte zum Mikrofon, stellte den Galgen auf seine Höhe ein und legte sich seine mit Eselsohren gespickten Textblätter für die gleich folgenden Lokal-News zurecht. Von der zeitgemäßen Variante, sie vom Bildschirm abzulesen, um gegebenenfalls Aktualisierungen berücksichtigen zu können, hielt Ingo, das Sender-Urgestein, nicht besonders viel. Wieübrigens von allem, was seine Routine störte und ihn womöglich zu so etwas Unbequemem wie einer Fortbildung nötigen könnte.

»Mit der Welt nicht gerade. Ich genüge mir selbst zum Hadern.« Julian lächelte gequält.»Hast du auch was für mich dabei? Etwas, das für mehr reicht als für einen Zehnsekunder?«

Ingo sah auf das digitale Uhrdisplay: noch knappe zwei Minuten bis zum Nachrichtenblock. Während Maikes Wunschhitüber denÄther lief, hielt Ingo ihm einen zusammengetackerten Stapel Blätter hin.»Du kannst es mal damit probieren«, meinte er und reichte ihn Julian.

»Was ist es diesmal? Wieder ein Politskandal, der keiner ist? Oder eine Umweltsünde,über die sich kein Mensch mehr aufregt?« Julian fand es wirklich nett und fürsorglich von dem Kollegen, dass er ihn immer wieder mit News-Brocken versorgte, aus denen sich seiner Meinung nach»vielleicht etwas machen ließe«. Doch die wirklich guten Storys schnappten ihnen meistens die Online-Menschen, die etablierten Printmedien oder die personell viel besser aufgestellte Konkurrenz derÖffentlich-Rechtlichen weg. Fürs Rundfunkhaus mit schmalem Etat und dünner Personaldecke blieben Brosamen– für Mister Morning Show nicht einmal die.

»Nein, nein, ist echt was Interessantes«, versicherte Ingo und zwinkerte ihm mit dunklen Knopfaugenüber seine Pausbacken hinweg aufmunternd zu.»Lies es dir mal durch. Ist ein Nazistoff. So was läuft immer.«

»Nazistoff?« Julian hielt die Papiersammlung mit spitzen Fingern hoch.»Nee, ne? Bitte nicht die tausendste Wiederholung irgendeiner Hitler-Story. Das Thema ist abgegrast, ausgeweidet, tot.«

»Überhaupt nicht! Der braune Spuk zieht heute mehr denn je. Wenn du mit einer Story landen willst, liegst du mit dieser Thematik goldrichtig. In Buchform könntest du damit die Bestsellerlisten stürmen. Vertraue einem Veteranen wie mir.«

»Lieb gemeint, Ingo. Aber danke, nein. Meinen Durchbruch als Reporter möchte ich mit einem Thema von heute schaffen. Auf Nazis kann ich dabei gut verzichten.«

»Wirf wenigstens mal einen Blick drauf.«

Julian winkte ab.»Du bist gleich dran mit den Nachrichten. In fünf, vier, drei…«

»Die Story wäre der Mühe wert. Ich spüre das.«

»… einer Sekunde. Dein Einsatz!«

Das rote Licht leuchtete, und Julian lehnte sich in seinem barhockerhohen Stuhl zurück. Während Ingo Neues aus der Welt verlas, ließ Julian seinen Blick durch das Studio gleiten, verweilte auf den Tastaturen, Schiebereglern und Monitoren, dann sah er hinüber zu den Wänden mit ihren schallschluckenden Styroporelementen und schließlich zur hermetisch abgedichteten Tür, deren Schließmechanismus an den eines Safes erinnerte.

Er