1. KAPITEL
Das Geräusch einer zufallenden Wagentür, dann Schritte die kiesbedeckte Einfahrt entlang. Alice zuckte zusammen, als die Klingel unnatürlich laut durch das große Haus schallte.
Er war da.
Sie atmete tief ein, zog ein letztes Mal den roten Lippenstift nach und trat dann zurück, um ihr Werk im Spiegel zu bewundern. Eine völlig fremde Alice starrte ihr entgegen.
War das ihr Schutzschild, den sie für ein Wiedersehen mit Kyros brauchte?
Normalerweise hätte sie nie schwarzen Satin angezogen– das Kleid umschmiegte ihren Körper so eng, als sei es ihr auf den Leib geschneidert worden. Auch die Seidenstrümpfe und die High Heels mit den roten Absätzen gehörten nicht zu ihrerüblichen Garderobe. Die glitzernden Ohrringe waren natürlich nicht echt, aber zumindest würden sie ihren Zweck erfüllen. Das Funkeln würde ihren Exfreund davon ablenken, ihr zu tief in die Augen zu schauen, um dort ihre Gefühle lesen zu können.
Vielmehr sollte er denken:Alice sieht fantastisch aus. Was war ich nur für ein Idiot, sie gehen zu lassen.
Wünschte sich das nicht jede Frau in ihrer Situation? Dass der Mann, der ihre Beziehung nur deshalb so leichtfertig beendet hatte, weil seine Partnerin keine Griechin war, heftiges Bedauern empfand?
Es klingelte ein zweites Mal.
„Ich bin gerade aus der Wanne gestiegen“, schrie ihre Freundin Kirsty von der anderen Seite des Flurs.
Erneut atmete Alice tief ein, dann machte sie sich auf den Weg zur Tür.„Schon gut“, rief sie.„Ich komme ja.“
Nur langsam bewältigte sie die Treppe auf den hohen Absätzen. Dafür klopfte ihr Herz umso schneller, als sie endlich die Haustüröffnete. Im Gegenlicht der tief stehenden Sommersonne ließ sich nur die Silhouette eines Mannes ausmachen. Plötzlich war ihr Mund wie ausgetrocknet.
Seit seinem Anruf wirbelten ihre Gedanken in einem wirren Chaos durcheinander. Sie hatte versucht, sich vorzustellen, wie er jetzt aussehen mochte. Aber nichts hatte sie auf die Realität vorbereiten können, Kyros nach zehn Jahren zum ersten Mal wiederzusehen.
Seine imposante Gestalt schien fast den gesamten Türrahmen auszufüllen. Schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt betonten seinen schlanken männlichen Körper und die langen muskulösen Beine.
Mit der Sonne im Rücken erkannte sie zunächst sein Gesichtüberhaupt nicht. Erst allmählich, während sich ihre Augen an das Licht gewöhnten, enthüllten sich ihr seine Gesichtszüge. Die hohen Wangenknochen, die schmale Nase und der ausdrucksstarke Mund, auf dem sich nur selten ein Lächeln abzeichnete.
Alice klammerte sich an die schwere Eichentür, da sie befürchtete, ihre Knie könnten weich werden. Da stand der Mann, der sie zutiefst verletzt hatte. Er hatte aus ihr eine Zynikerin gemacht, die nicht mehr an die Liebe glaubte. Vergiss das nicht, befahl sie sich.
„Hallo, Kyros“, begrüßte sie ihn betont ruhig.
Im ersten Moment reagierte Kyros gar nicht, zum einen, weil Wut und ungläubiges Staunen ihn sprachlos machten, zum anderen, weil sexuelles Verlangen durch seine Adern strömte. Er nahm eine hastige Begutachtung vor. Kein Ehering. Kein Mann, der sich neugierig im Hintergrund hielt und den mysteriösen Anruferüberprüfte. Und sie trug die Kleider einer Hure!
Verächtliche Anerkennung zeichnete sich auf seinen Lippen ab, als er seinen Blicküber das schwarze Satinkleid wandern ließ, das viel zu viel von ihren wunderschönen langen Beinen entblößte, die sich so spektakulär um seinen Körper legen konnten. Er betrachtete die Rundungen ihrer Brüste und dann den perfekten kleinen Po. Wie konnte sie nur darüber nachdenken, in diesem Fetzen auszugehen, der den Puls eines jeden Mannes zum Rasen brachte und ihm dieselben Gedanken einflößen musste, die ihm gerade durch den Kopf schossen?
„Kalispera, Alice“, erwiderte er sanft, während die Sehnsucht tief in seinem Inneren weiter wuchs.„Hast du vergessen, dein Kleid anzuziehen… oder arbeitest du nebenbei als Prostituierte?“
Trotz der gemeinen Worte bedeutete seine samtige Stimme fast ihren Untergang. Dieser Akzent, dachte sie ohnmächtig. Dieser sexy unvergleichliche griechische Akzent entführte sie zurück in eine Zeit, die eigentlich nicht betreten werden durfte.
„Ich habe dir doch gesagt, ich gehe auf eine Party“, entgegnete sie. Wieso, fragte sie sich, rechtfertige ich ihm gegenüber mein Verhalten?
„In Schuhen, die niemals außerhalb des Schlafzimmers getragen werden sollten“, stellte er fest und musterte die extrem hohen Absätze.
Alice umklammerte die Tür noch fester.„Jemanden zu beleidigen, den man seit zehn Jahren nicht gesehen hat, entspricht nicht der traditionellen Begrüßung in England. Oder weißt du nicht mehr, was sich gehört?“
Aber Kyros beachtete sie kaum. Stattdessen fuhr er fort, sie eindringlich zu mustern, als würde seine Sicht sich plötzlich klären und die Frau, die er eigentlich erwartet hatte, erscheinen. Die Alice, die er gekannt hatte, war rein und unschuldig gewesen. Blonde Haare fielen offen bis zur Taille und waren nicht zu einer aberwitzigen Kreation aus Schleifen und Locken aufgetürmt. Sie hätte ein hübsches Sommerkleid aus Baumwolle oder einen adretten kurzen Rock und ein schlichtes T-Shirt getragen. Auf keinen Fall hätte sie etwas so Offenherziges angezogen. Das hätte er niemals erlaubt.
Seine Augen blitzten auf, als ihre Blicke sich trafen.„Okay, Alice, wenn du auf Konventionen Wert legst, dann sollst du sie bekommen.“ Noch einmal betrachtete er sie eingehend, verlor sich fast in dem Anblick ihrer zarten hellen Haut.„Lange nicht gesehen“, murmelte er spöttisch.„Sagt man das nicht nach so vielen Jahren?“
„Ich war mir nicht sicher, dass du wirklich kommst“, meinte sie.
„Aber ich habe dir doch gesagt, ich bin auf der Durchreise.“
„Ja, ich weiß.“ Er könne auf einen Sprung vorbeischauen, hatte er gesagt, als sei ihm die Idee erst eben gekommen. Betonte er absichtlich die Tatsache, dass er nicht extra ihretwegen herkam? Nur für den Fall, dass sie die falschen Schlüsse zog? Er hatte ihr nicht einmal gesagt, ob er alleine oder in Begleitung kommen würde. Sie spähteüber seine Schulter, als erwarte sie, eine exotische griechische Schönheit zu sehen, die ihm gehorsam folgte. Zu ihrer Erleichterung stand dort niemand.
Es war nicht gerade die herzlichste Begrüßung, die Kyros je erfahren hatte. Theoretisch hatte er natürlich gewusst, d