: Vera Brittain
: Vermächtnis einer Jugend Autobiografie
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957576675
: 1
: CHF 13.40
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 526
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als eine der wenigen Frauen ihrer Generation besteht Vera Brittain 1914 die Aufnahmeprüfung zum Oxford College, zudem mit Bravour. Nur wenig später verliebt sie sich in den hochbegabten Roland, einen Freund ihres älteren Bruders Edward. Doch der jähe Ausbruch des Ersten Weltkriegs macht nicht nur die Träume der außergewöhnlichen Frau, sondern die einer ganzen Generation zunichte: Roland und Edward kommen, wie so viele ihrer Freunde, in den Schlammwüsten des erbarmungslosen Kriegs zu Tode. Sie selbst bricht das Studium ab, geht als Hilfskrankenschwester an die Front und wird Zeugin unausdenkbarer Qualen der Opfer und der Überforderung der Helfer in London, Malta und Étaples. Als sie 1918 völlig desillusioniert nach England zurückkehrt, weiß sie mit Bestimmtheit: Nur wenn der Pazifismus die Menschen so erregt, wie es die Anspannung in Kriegszeiten tut, kann die sinnlose Vernichtung von Leben und Zukunft aufgehalten werden. Die eindrücklichen, präzisen autobiografischen Schilderungen der Erfahrungen von Frauen im Krieg, ihres Einsatzes, ihrer Hoffnungen, Ängste und ihrer Trauer rücken die konkreten Schrecken und Folgen für das eigene Leben so nahe wie kaum ein anderes literarisches Zeugnis.

Vera Brittain, 1893 im britischen Newcastle-under-Lyme geboren, brach 1915 das Studium in Englischer Literatur in Oxford ab und arbeitete als freiwillige Krankenschwester im Ersten Weltkrieg. Nach Kriegsende engagierte sie sich politisch als Feministin und Pazifistin. Sie war Sprecherin der League of Nations Union, der Peace Pledge Union und des Anglican Pacifist Fellowship. Ihr schriftstellerisches Werk umfasst etliche autobiografische Romane und politische Schriften. Vera Brittain starb 1970 in Wimbledon.

II


ALS DEBÜTANTIN IN DER PROVINZ


Im Rosengarten

Tau auf erröteten Blüten,
Rosenpracht hold entpellt:
Was, dachte ich, gibt’s Schönres
auf dieser Welt?

Schritte, sacht und dann zagend
(Sollte sie etwa nicht?),
gingen vom Laubenschatten
ins Sonnenlicht
.

Mittag und duftige Zierden,
Golden, rosa und rot.
»Wozu«, sprach ich, »sind Rosen
mir letztlich not?«

R. A. L., 11. Juli 1914

– 1 –


Doch als ich Debütantin wurde, ausstaffiert mit Kleidern aus London, die ich nicht zu tragen verstand, lagen der Krieg noch zwei und mein Krankenhausdienst drei Jahre weit entfernt. Wir wuchsen am Ende einer beispiellosen Epoche großen Wohlstands und ungestörter Sicherheit auf, die wir so nie wieder erleben sollten, glaubten aber, sie bestünde seit undenklichen Zeiten und bis in alle Ewigkeit.

Meinen ersten Ball, den High Peak Hunt Ball, absolvierte ich sittsam gekleidet in konventionellem weißem Satin und Perlen; in dieser Uniform wirbelte ich in den folgenden Wochen unentwegt zu den Klängen von »Dreaming« und »The Vision of Salome« in den Armen junger Männer mit ungestümen Körpern und dürftigen Gesprächstalenten. Diese Bälle waren keineswegs so zwanglos, wie sie aussahen; auf ihnen wurden die Heiratschancen der jungen Frauen anhand ihrer Beliebtheit als Tanzpartnerinnen ermittelt und sie wurden folglich von zahlreichen miteinander konkurrierenden Anstandsdamen besucht, die das Geschehen mit größter Erwartung und Besorgnis verfolgten.

Als ich drei Jahre später meinen Schreibtisch aufräumte, um als freiwillige Hilfspflegerin nach London zu gehen – nicht ahnend, dass ich Buxton für immer verließ –, fand ich in einer Schublade meine mit einem Seidenbändchen zusammengebunden Tanzkarten von damals. Zu diesem Zeitpunkt waren schon so viele der unbedarften jungen Männer in Frankreich oder den Dardanellen gefallen