: Vladimir Nabokov
: Dieter E. Zimmer
: Die Gabe
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644002166
: Nabokov: Gesammelte Werke
: 1
: CHF 10,00
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 800
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
«Die Gabe» erzählt die Geschichte des jungen Exilrussen Fjodor in Berlin zwischen 1925 und 1928. Es war der letzte Roman, den Nabokov in russischer Sprache schrieb.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.

Kapitel 2


IMMER NOCH FIEL LEICHTER REGEN, aber unfassbar und plötzlich wie ein Engel war schon ein Regenbogen erschienen. In träger Verwunderung über sich selber schwebte er rosig grün, in der ganzen Länge seines Innenrandes violett überzogen, über dem gemähten Feld, über und vor einem fernen Wäldchen, das ein zitterndes Fragment des Bogens durchschimmern ließ. Vereinzelte Regenpfeile, die Rhythmus und Gewicht verloren hatten und auch die Fähigkeit, noch irgendwelche Geräusche hervorzubringen, flammten aufs Geratewohl hier und da in der Sonne auf. Hinter einer rabenschwarzen Wolke zog am reingewaschenen Himmel eine andere von betörendem Weiß auf und glänzte mit allen Einzelheiten eines ungeheuer komplizierten Frieses.

«Nun, das wäre vorüber», sagte er leise und trat unter dem Schutzdach der Espen hervor, die sich dort zusammendrängten, wo die glitschige, lehmigesemskaja, die «Landkreis-Straße» – und was für ein Schlagloch lag in dieser Bezeichnung! – zu einer Senke abfiel, in der sie alle ihre Furchen in einer länglichen, bis zum Rand mit dickemcafé crème gefüllten Grube versammelte.

Mein Geliebter! Muster elysischer Farben! Als mein Vater in Ordos einmal nach einem Gewitter einen Hügel hinaufstieg, betrat er ohne zu wollen die Basis eines Regenbogens – ein höchst seltenes Vorkommnis! – und sah sich in farbiger Luft, in einem Lichterspiel wie im Paradies. Er tat noch einen Schritt – und ließ das Paradies hinter sich.

Der Regenbogen verblasste bereits, und der Regen hatte ganz aufgehört; es war brennend heiß, eine Bremse mit Seidenglanzaugen ließ sich auf seinem Ärmel nieder. Teilnahmslos, beinahe fragend, begann in einem Dickicht ein Kuckuck zu rufen: Der Ton schwoll an wie eine Cupula, und noch einmal – wie eine Cupula, unfähig, eine Lösung zu finden. Der arme dicke Vogel flog wahrscheinlich weiter fort, denn alles wiederholte sich aufs neue, nur als schwächerer Widerhall (wer weiß, vielleicht suchte er einen Ort für den besten, den traurigsten Effekt). Ein riesiger, im Fluge flacher Schmetterling, bläulich schwarz mit einem weißen Band, beschrieb einen übernatürlich gleichmäßigen Bogen, ließ sich auf der feuchten Erde nieder, legte die Flügel zusammen und war damit verschwunden. So einen bringt ein schnaufender Bauernjunge hin und wieder an, nachdem er ihn zuvor mit beiden Händen in seine Mütze gestopft hat. So einer schwingt sich unter den trippelnden Hufen des artigen klei