: Amir Hassan Cheheltan
: Der standhafte Papagei Erinnerungen an Teheran 1979
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957576668
: 1
: CHF 16.10
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 197
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Herr Firuz, Besitzer eines Spirituosenladens im Zentrum Teherans, begreift als Erster, dass sich etwas Großes zusammenbraut. Völlig unerwartet steht sein eigener Sohn als Anführer einer marodierenden Bande Jugendlicher vor dem Schaufenster des elterlichen Geschäfts und wirft wortwörtlich den ersten Stein. Während immer mehr Bewohner des Viertels sich der Chomeini nahestehenden Basidischi-Miliz anschließen, wird vor seinem Laden gestritten, gebetet und geschossen, zugleich erstarkt die Hoffnung, dass vielleicht doch etwas Gutes aus den Ruinen der gestürzten Monarchie entstehen kann. Doch die revolutionären Kräfte radikalisieren sich immer mehr und etablieren schließlich jenes unterdrückerische Regime, das die korrupte Gewaltherrschaft Pahlavis durch einen despotischen Gottesstaat ersetzte, unter dem die liberalen Kräfte im Land noch heute leiden. Amir Hassan Cheheltan war 22 und Student, als die ersten Flugblätter an den Häuserwänden auftauchten, die den Sturz des Schahs forderten. Seine Erinnerungen an damalige Nachbarn und Freunde, an Wut, Chaos und das tägliche Ringen um Normalität eröffnen ein Panorama der iranischen Gesellschaft in Zeiten von Protest, Gewalt und Unsicherheit und sind ein sowohl sachkundiges als auch persönliches Zeugnis von den Ereignissen, die den Iran, Teheran und insbesondere den Mikrokosmos seines Wohnviertels in den Jahren 1978 und 1979 erschütterten.

Amir Hassan Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, veröffentlichte erste Sammlungen von Kurzgeschichten wahrend seines Studiums der Elektrotechnik in England. Bis heute hat Cheheltan neun Romane, sechs Sammelbande mit Kurzgeschichten und ein Drehbuch vorgelegt. Zudem schreibt er regelmäßig Essays und Leitartikel für große deutsche und internationale Zeitungen. Bis 2004 war er Chefredakteur der Online-Literaturzeitschrift Sokhan. Heute lebt er mit seiner Familie wieder in Teheran.

Unser Stadtviertel


Unser Stadtviertel zeichnete sich durch die ganz eigene Zusammensetzung seiner Bewohner aus und war eines der wenigen ohne soziale Klassenstruktur. Ganz in der Nähe lagen auf der einen Seite die Universität von Teheran, auf der anderen das Parlament. Neben dem fehlenden Klassenbewusstsein sorgte die besondere geografische Lage unseres als zentral geltenden Viertels für diese untypischen Verhältnisse, zu denen wohl auch die Landflucht und das rasche Anwachsen der Stadt beitrugen, deren Einwohnerzahl sich in nur drei Jahrzehnten vervierfacht hatte. So lebte zum Beispiel am einen Ende des Viertels ein reicher Basari, am anderen jemand, der als Wachposten bei einer Bank tätig war. Sogar Reza hatte ein Zimmer im Souterrain einer Dienstwohnung und zählte als Straßenhändler ebenso zu unseren Nachbarn wie ein Mann namens Hassan Khanom, am Schlachthof von Teheran angestellt, sowie dessen Frau, Leichenwäscherin auf dem städtischen Behescht-e Zahra-Friedhof, und sein Stiefsohn, der im Krankenhaus arbeitete. In unserem Stadtteil lebten Lehrer, Fabrikarbeiter und Einzelhändler Seite an Seite mit einem Arzt, einem Kapitalisten und sogar einem Mullah. Auch ein pensionierter General lebte hier, mit einem großen Hund, dem einzigen Haushund in unserer Nachbarschaft.

Als die Unruhen einsetzten, äußerte sich des Generals jüngster Sohn, der etwa in unserem Alter war, widersprüchlich. Er sagte zum Beispiel: »Klar ist das ganze Land korrupt und verlogen, aber der Schah hat davon keinen blassen Schimmer, der Arme.«

Weil er ein umgänglicher Kerl war und sich mit allen in der Nachbarschaft gut verstand, hatten wir den Eindruck, dass er einfach das wiedergab, was sein Vater ihm eingeredet hatte. Ein Vater, der übrigens Blumen liebte und Lyrik, sich mit Leib und Seele der Pflege seines großen Gartens widmete – nach all den Jahren sehe ich ihn noch heute vor mir, mit einer Gartenschere in der Hand, einem großzügigen Lächeln auf den Lippen –, der zugleich einen besonders herzlichen Umgang mit den Jugendlichen pflegte, ihnen sogar Geld lieh, kurzum, ihre Kameradschaft suchte, was in unserer Nachbarschaft natürlich so manches Gerücht nährte.

Ich war zwar damals erst zweiundzwanzig, glaubte aber, als Student im letzten Studienjahr und auf dem Höhepunkt meiner jugendlichen U