: Herbert Asbeck
: Das liebe Fräulein Klimpernell
: Allitera Verlag
: 9783865200273
: 1
: CHF 12.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 158
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die Eltern stellen den kleinen Georg zum Klavierunterricht bei einer jungen Dame aus wohlhabendem Haus vor. Die großbürgerliche Villa wird jedoch im Novemberpogrom geplündert, noch ehe Georg seine erste Stunde antreten kann, und »Fräulein Klimpernell« – so lautet ihr Spitzname in der rheinischen Stadt – geht ins englische Exil. Nach Kriegsende ist die Villa von der britischen Besatzung beschlagnahmt, das »Fräulein« darf aber ins ehemalige Gärtnerhaus einziehen. Und ein britischer Major gibt ihr zumindest das ramponierte Klavier aus der Villa, damit sie einen neuen Anfang machen kann.

Im Zentrum des Romans steht die Begegnung des Kindes Georg mit der Musik, die sich eng mit der Person seines verehrten »Fräuleins« verbinden soll. Zugleich sind in zahlreichen Momenten dieses Kinderlebens Szenen einer Nachkriegskindheit festgehalten, die von Mangel, Hunger, Flüchtlingen, Einquartierung, Währungsreform, Kohlenklau und dem tiefen Wunsch nach Schönheit und Ordnung geprägt sind: »Das Leben gewann einen eigenen Rhythmus. Vielleicht war es Trotz, der denen, die an einen Neuanfang glaubten, besondere Kraft verlieh. Es wurde gesägt und gehämmert und sogar der krummste Nagel wieder gerade geklopft. Es war, als ob Menschen nach einer Lähmung wieder das Laufen lernten.«

Das »Fräulein« passt nicht so recht in diese von Trotz, aber auch von Engstirnigkeit, Spießertum und Verleumdungen geprägte Nachkriegsordnung – und nur Georg erkennt die Gefahr, in der sie schwebt.

Der Autor

Herbert Asbeck, Jahrgang 1936, studierte Sprachen in Amsterdam und Barcelona. Ausgedehnte geschäftliche Reisen durch viele Länder und Kulturen schlugen sich in ersten Textentwürfen nieder. Zu seinen Veröffentlichungen zählen Gedichte eines Unmodernen, Die Reise nach S., Der Sommergarten und seine beiden Kreta-Romane Lambis, der Geiger und Tage auf Kreta, aber auch Theaterstücke wie Trott, Dio Mio, Trilogie der Liebe und Die Graugans. Asbeck lebt heute als freier Schriftsteller in Erkrath bei Düsseldorf.  
4. (S. 17-18)

Zu Hause stand ich ratlos vor dem Klavier, musste jetzt doch das Publikum länger auf den gefeierten Künstler warten. Mamas Traum von der Laufbahn ihres Sohnes als Klaviervirtuose schien vorerst ausgeträumt. Später sahen wir, dass am Flaggenmast vor der Villa die Hakenkreuzfahne hing. Von dem Fräulein und ihrer Familie keine Spur. Stattdessen gab es regen Verkehr schwarzer Limousinen, aus denen braun Uniformierte stiegen und mit staksigen Stiefelschritten zur Villa strebten. Die hieß jetzt bei allen Leuten im Ort ›Braunes Haus‹. Dieser Begriff zeugte in meinen Augen von einem irrigen Farbverständnis der Erwachsenen. Denn der vorherrschende Farbton des Außenputzes war ein verwittertes Grau.

Eine neue Zeit wurde sichtbar, die nicht nur mein Kinderleben veränderte. Es gab Krieg. Zuerst hatte ich an Ritterkämpfe geglaubt und mir aus der Spielkiste mein altes Holzschwert gekramt. Draußen spielten wir Weiße und Indianer. Jeder Weiße von uns war bestrebt, den eigenen Skalp zu retten.

Ganz plötzlich musste Papa weg. Vorbei die Sonntage, an denen er auf dem Klavier spielte. Meist wünschte sich Mama die neuesten Schlager. Oft sang sie dazu, und ihre Stimme hörte sich an wie die der Zarah Leander. Manchmal, wenn Papa beim Klavierspielen patzte, wies ihn Mama zurecht. Sie behauptete, sie habe das ›absolute Gehör‹, und das könne keinerlei Missklang ertragen. Wenn Papa das Gezeter zu viel wurde, knallte er den Klavierdeckel zu. Dann herrschte für Stunden eisiges Schweigen.

Da uns das ›Fräulein‹ als Klavierlehrerin abhanden gekommen war, versuchte Mama, mir wenigstens Tonleitern beizubringen.

»Mit ›Pling-Plong‹ und ›Hänschen klein‹ hat noch nie jemand einen Blumentopf gewonnen«, schimpfte sie, wenn ich keine Laune zu weiteren Spielversuchen zeigte. Ich stellte mich taub. Ohnehin fand ich den Vergleich mit dem Blumentopf unpassend.

»Schließlich braucht jede Kunst die handwerkliche Unterweisung«, beharrte sie. Doch in der Unterweisung war Mama keine Meisterin.

Die Zeit verging. Bomben fi elen. Häuser sanken in Trümmer. Und die begruben viele Bewohner. Bei jedem Alarm rannten wir in den Luftschutzkeller und hofften, dass die Flugzeuge uns nicht trafen. Papa bekam Heimaturlaub, und für einige Tage wurde es zu Hause fast wie früher. Nur Papas Gesicht schien viel ernster. Er wunderte sich, wie sehr sein Sohn inzwischen gewachsen war. Dann musste er wieder zurück in den Krieg.

Der war schon längst auch bei uns angekommen. Nicht nur, dass immer mehr Bomben fi elen. Jetzt fl ogen auch Granaten von jenseits des Rheins zu uns in den Ort. Von der Kirche fegten sie die Turmspitze weg. Denn von da oben hatte ein Maschinengewehr fortwährend nach drüben gefeuert.

Und eines Morgens war der Flaggenmast vor der Villa leer. Auch von den braun Uniformierten ließ sich niemand mehr blicken. Eine Weile blieb es ganz still um uns her, als brauchte die Welt eine Atempause. Dann rasselten Panzerketten. Mama und ich standen halb verdeckt hinter den Vorhängen.
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