: Eva Geßner
: Niemand wird dich hören
: dp Verlag
: 9783960873969
: 1
: CHF 6.50
:
: Erzählende Literatur
: German

Jahrelang hat sie sich nicht an den Tod ihrer Schwester erinnert. Jahrelang hat sie keine Fragen gestellt. Doch nun wird sie in ihren Albträumen verfolgt…

&U ml;ber zwanzig Jahre nach dem Selbstmord ihrer Schwester scheint Annas Leben in bester Ordnung: Sie ist erfolgreiche Anwältin und ihr Mann ein ehrgeiziger Chefarzt. Die Ereignisse von damals hat sie völlig verdrängt. Doch in ihrer Ehe kriselt es und Anna wird von immer wiederkehrenden Träumen gequält: ein dunkler Flur, ein blauer Schmetterling und das hilflose Weinen eines Mädchens lassen sie nicht mehr los.

Anna ahnt, dass die Träume mit dem Tod ihrer Schwester zu tun haben. Doch um die Wahrheit zu entschlüsseln, muss sie tief in ihr Unterbewusstsein vordringen. Scheinbar zufällig begegnet sie dem suspendierten Hauptkommissar Fritz Sander, der ihr seine Hilfe anbietet. Die beiden geraten in ein Netz aus Lügen, Korruption, Mord und Geheimnissen. Wem kann Anna noch trauen und was lauert in ihrer Erinnerung? 

Er te Leserstimmen
„Ein packender Thriller, der tief in die Abgründe der menschlichen Psyche blickt“
„Eine zutiefst beklemmende Geschichte, die mich beim Lesen gefesselt hat“
„Großartig aufgebaute Spannung mit abgründigen Charakteren“
„Dicht und stimmungsvoll geschrieben“
„Ein faszinierender Psychothriller mit Tiefgang“



Eva Geßner wurde 1968 im Rheinland geboren und wohnt in Köln. Ihre erste Kurzgeschichte schrieb sie bereits als 10-jährige. Der Plot und die Bilder von Jeff Waynes War of the worlds hatten sie so verängstigt, dass ihr Vater kurzerhand eine Gegengeschichte mit freundlichen Außerirdischen erfand, die die beiden zusammen weitergesponnen und aufgeschrieben haben.

Sonntag, 23. Juli 2017
Kapitel 1


»Wir machen es wie gestern«, entschied Tom. »Ich den Kopter, du die Kamera.«

»Okay.« Fabian nickte und verteilte die Fernsteuerungen.

»Ist das Akkufach richtig zu?«

Fabian verzog das Gesicht. »Ja«, presste er zerknirscht zwischen den Zähnen hervor. »Das passiert mir nicht noch mal, und ich wäre dir echt dankbar, wenn du mich nicht jedes Mal dran erinnerst.«

Tom grinste.

Bei einem ihrer ersten Flugversuche hatte Fabian die Klappe vom Akkufach nicht richtig geschlossen. Ausgerechnet über einem kleinen See war es aufgesprungen und der nagelneue Quadrokopter wie ein Stein vom Himmel gefallen. Es grenzte an ein Wunder, dass er dabei nicht kaputtgegangen war.

»Wie viel Zeit haben wir?«, fragte Tom.

Fabian sah auf die Uhr. »Schätze höchstens zehn Minuten.«

»Okidoki, dann wollen wir mal. Bereit?«

Fabian nickte.

»Sieh zu und lerne vom Meister.«

Fabian verdrehte die Augen.

Die Drohne hob ab. Dabei machte sie ein leises surrendes Geräusch. Zuerst trudelte sie ein bisschen hin und her, aber schon nach kurzer Zeit hatte Tom alles im Griff und das kleine Flugobjekt gewann langsam an Höhe. Das Videosignal war stabil.

Es war sechs Uhr am Sonntagmorgen. Am Himmel stand keine einzige Wolke und das Thermometer war bereits auf zwanzig Grad geklettert. Es würde wieder ein heißer Tag werden.

Tom und sein bester Freund Fabian waren extra früh aufgestanden, damit sie ungestört mit ihrem Spielzeug ein paar neue Flugmanöver üben konnten. In den letzten Wochen hatten sie das Starten und Landen auf großen Freiflächen trainiert. Jetzt waren sie in der Lage, den Kopter sicher in der Luft zu halten und zu manövrieren und brannten darauf, den nächsten Schritt zu wagen: einen Flug durch eine Ruine.

Zwischen den beiden Freunden hatte sich schnell eine Arbeitsteilung herauskristallisiert. Tom war eindeutig der bessere Pilot, er bediente die beiden Joysticks. Fabian war der Fotograf und zuständig für die Kamerasteuerung und das Videostreaming.

Das Gelände war perfekt: Eine alte Strumpffabrik im Norden Kölns.

Die Bürogebäude waren bereits abgerissen worden und man hatte dort mit dem Bau eines Familienwohnparks begonnen. Die Baugrube für den ersten Bauabschnitt war ausgehoben. Montagmorgen sollte das Fundament gegossen werden.

Die stählernen Bewehrungsmatten am Boden der Baugrube, die der Verstärkung des Betons dienten, schimmerten rostrot in der frühen Morgensonne und die senkrecht stehenden Stangen für die äußeren Wandanschlüsse verliehen dem Ganzen das Aussehen eines riesigen eisernen Gerippes.

 

Die ehemalige Lagerhalle der Fabrik stand aber noch, halb verfallen wartete sie auf ihren Abriss. Alle Fenster waren eingeschlagen und dort, wo früher einmal die Stahltore gewesen waren, klafften jetzt große Löcher. Die Halle war der ideale Ort, um den Flug im Inneren eines Gebäudes zu üben.

Der Plan war, die Drohne auf hundert Meter Höhe steigen zu lassen, sie im Sturzflug zur Erde zurückzubringen und durch das vordere Tor in die Halle zu fliegen. Dann würde Tom versuchen, drinnen ein paar Schleifen zu drehen. Das war der schwierigste Teil, weil er für diesen Zeitraum nur über das Auge der Kamera sehen konnte. Als Letztes wollte er in Bodennähe über die Freifläche hinter der Lagerhalle bis zu der Baugrube jagen, dort noch einmal richtig hochziehen und zurückfliegen. Der Akku hielt maximal zehn Minuten, je nach Windsituation.

Tom überprüfte die Anzeigen auf der Fernbedienung und nickte zufrieden, als die Drohne die erforderliche Höhe erreicht hatte. Sie war jetzt mit bloßem Auge fast nicht mehr zu erkennen. Er zog sachte den Steuerungshebel nach vorn, nahm das Gas weg und die kleine Flugmaschine sauste im Sturzflug zur Erde hinunter.

Fabian hielt konzentriert die Luft an.

Kurz vor dem Boden lenkte Tom die Drohne gekonnt in die Horizontale und flog direkt durch das große Tor in die Halle.