: Helwig Schmidt-Glintzer
: Chinas leere Mitte Die Identität Chinas und die globale Moderne
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957576538
: 1
: CHF 7.10
:
: Sonstiges
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Was das Reich der Mitte ausmacht', hat man sich in China selbst ebenso wie außerhalb Chinas seit Jahrhunderten immer wieder gefragt. Helwig Schmidt-Glintzer findet in diesem luziden und so weitreichenden wie knappen Essay die Antwort in der leeren Mitte und in den Bemühungen, diesen Mangel zu kompensieren. Ausgehend von dieser Prämisse leuchtet er zunächst die Identität dessen aus, was unter 'China' zu verstehen ist, um dann die der chinesischen Kultur innewohnende Ambivalenz gegenüber Herrschaftsansprüchen zu deuten und die Geschichte der chinesischen Staatlichkeit zu rekonstruieren. Vor diesem Hintergrund wird es möglich, so manches Rätsel zu entschlüsseln, das China dem Westen so oft ist. Vor allem aber wird klar, dass China damit für die globale Moderne möglicherweise besser gerüstet ist als die meisten anderen Länder.

Helwig Schmidt-Glintzer, 1948 geboren, hatte nach einem Studium der Sinologie und diversen Forschungsreisen nach Ostasien von 1981 bis 1993 den Lehrstuhl für Ostasiatische Kultur- und Sprachwissenschaft an der Universität München inne, bevor er von 1993 bis 2015 als Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel tätig war. Er ist heute Direktor des China Centrums Tübingen und veröffentlichte zuletzt bei Matthes& Seitz Berlin die Biografie Mao Zedong. ?Es wird Kampf geben?.

I
Chinas Identität


Die leere Mitte


Seit dem Ende des chinesischen Kaiserreiches und seit China sich neu zu erfinden sucht, will es Teil der Weltgesellschaft sein und dabei doch nicht seine Identität verlieren. Diese Identität war zunächst geistig gefasst und erst in zweiter Linie räumlich definiert. So galt Chinas Intellektuellen im frühen 20. Jahrhundert nicht das Territorium der untergegangenen Dynastie als sakrosankt. Vielmehr suchten viele China von unten, von den Provinzen her aufzubauen. Noch Sun Yatsen war bereit, die Insel Hainan für 14 Millionen Dollar an einen anderen Staat abzutreten.4 Zugleich gab es die Bestrebung, eine stolze chinesische Nation zu errichten, der die genannten regionalen Orientierungen im Wege standen. Seit der Taiping-Bewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die das Ziel eines Gottesreichs auf Erden verfolgte, ist Chinas Geschichte von diesem Wechselspiel lokaler Experimentierwerkstatt und regionaler Reform einerseits und Modernisierung des Gesamtreiches andererseits geprägt. Der Einheitsstaat setzte sich schließlich durch, begünstigt durch Förderung von außen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 wurde dieser Prozess besiegelt – und doch schien zunächst alles offen. Das neue Zentrum, die neue Mitte sollte Peking werden. Der dortige Palast sollte weichen und so eine neue Mitte geschaffen werden, die leer bleiben sollte. Ansatzweise ist dies mit der Schaffung des Platzes des Himmlischen Friedens ja dann tatsächlich auch realisiert worden.5

Die leere Mitte, um die sich China dreht, ist also mein Ausgangspunkt. Gan