: Kaouther Adimi
: Was uns kostbar ist Roman
: Lenos Verlag
: 9783857879661
: 1
: CHF 16.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was der ahnungslose Student Ryad bei seinem Ferienjob in Algier vorfindet, ist ein geschichtsträchtiger, einzigartiger Ort: In der Buchhandlung, die er ausräumen soll, wirkte einst Edmond Charlot (1915-2004), der hier 1936 mit Les Vraies Richesses ein blühendes Zentrum der Bücher gründete, Bibliothek, Verlag und Treffpunkt in einem. Charlot entdeckte Albert Camus, Jules Roy und weitere literarische Grössen des 20. Jahrhunderts. Während des Zweiten Weltkriegs galt er als 'der Verleger des freien Frankreichs', namhafte Autorinnen und Autoren gingen bei ihm ein und aus. Trotz politischem Druck, einer Inhaftierung unter dem Vichy-Regime und kriegsbedingtem Papiermangel engagierte er sich unermüdlich für die Literatur. Nach Kriegsende wirkte er in Paris, wo er bald in finanzielle Not geriet und seine Autoren an die grossen Verlage verlor. Doch den Buchladen in Algier gibt es bis heute. Der jungen algerischen Autorin gelingt mit ihrem preisgekrönten Roman eine Hommage an die Literatur und einen herausragenden Förderer. Lebensnah und einfühlsam skizziert sie in einem fiktiven Tagebuch Edmond Charlots bewegtes Leben. Sie erzählt zudem von einem politisch und kulturell engverwobenen und gleichzeitig zerrissenen Mittelmeerraum in einer turbulenten Zeit. Und sie schlägt den Bogen in die Gegenwart, wo Charlots Welt der Literatur neu zu entdecken ist. Ausgezeichnet mit dem Prix Renaudot des lycéens, dem Prix du Style, dem Prix Beur FM Méditerranée und dem Prix Goncourt Choix de l'Italie.

Kaouther Adimi, geboren 1986 in Algier, lebt und arbeitet seit 2009 in Paris. Sie veröffentlichte bisher drei Bücher, die zahlreiche Auszeichnungen erhielten. Ihr dritter Roman, 'Nos richesses' (Seuil, 2017), war für den Prix Goncourt nominiert.

Aufzeichnungen von Edmond Charlot Algier, 1935–1936


12. Juni 1935

Ich bekomme einmal eine Glatze. Mit zwanzig Jahren habe ich wenigstens diese Gewissheit. Vor dem Philosophieunterricht bei Jean Grenier im Gymnasium von Algier: zur Täuschung die wenigen Haare auf die Seite kämmen. Dieser Lehrer ist unglaublich. Er unterrichtet nicht, er erzählt. Wenn er zu reden anfängt, wissen wir nie, worauf wir uns einstellen sollen. Er denkt unsere Gedanken mit, er zwingt uns, unsere Überlegungen so weit wie nur möglich auszudehnen. Als wir ihn einmal über sein letztes Werk befragten, hat er sich Streifzüge zu den verschiedenen darin erwähnten Inseln ausgedacht. Meine Jahre in der Jesuitenschule (diesem Konzentrationslager!) liegen lange, sehr lange zurück.

23. Juli 1935

Wieder in Algier nach einem kurzen Paris-Aufenthalt. Diskussion mit meinem Vater spätabends in der Küche. Ich erzählte ihm von meiner tiefen Bewunderung für Adrienne Monnier, deren aussergewöhnliche LeihbibliothekLa Maison des amis des livres in der Rue de l’Odéon 7 ich besuchen konnte. Aberhunderte von Bänden. Alles kann man dort finden! Und welch eine aussergewöhnliche Frau, diese Madame Monnier … Sie hat mir anvertraut, dass sie mit nur ein paar tausend Franc angefangen hat. Das Gleiche sollte man in Algerien machen. Mein Vater ist einverstanden, aber in kleinerem Massstab, meint er. Ja, kleiner, aber trotzdem in diesem Geist. Das heisst eine Buchhandlung, die Neues und Altes verkauft, die Werke ausleiht und die nicht einfach ein Laden wäre, sondern ein Ort der Begegnung und Lektüre. Gleichsam ein Ort der Freundschaft und zusätzlich mit einem Bezug zum Mittelmeerraum: Schriftsteller und Leser aus allen Mittelmeerländern ohne Unterschied in Sprache oder Religion sollen kommen, die Leute von hier, von dieser Erde, diesem Meer, und sich vor allem den Algerianisten widersetzen. Etwas ganz anderes machen!

18. September 1935

Grossvater Joseph aus Ghardaia zurück. Beim Abendessen erzählte er mir, wie er sich Kamele für seinen Wüstenritt gemietet und einen Löwen- und Pantherjäger zum Schutz vor möglichen Räubern dabeihatte. Ein merkwürdiger Mann, der für seinen Beruf als Händler lebt und mehr erfindet als beschreibt. Grossmutter schüttelte verärg