Brigitte Ederer
»Politik ist extrem spannend, aber auch extrem kränkend«
Selten in der österreichischen Geschichte haben SPÖ und ÖVP so viel Grund, gemeinsam zu feiern, wie am 12. Juni 1994. In der »Nacht der Blaskapellen«, wie sie derKurier am folgenden Tag nennt, weil in der Wiener Innenstadt die Gardemusik ebenso aufmarschierte wie die Musikkapelle der Floridsdorfer Zentralwerkstätte der ÖBB. Es ist jener Tag, an dem Österreich viel deutlicher für einen EU-Beitritt gestimmt hat, als das in all den Monaten zuvor erwartet wurde. Der Tag, an dem der Ballhausplatz voller blau-gelben Fahnen ist. An dem tausende Menschen der Bundesregierung zujubeln, die sich in seltener Eintracht am Balkon des Kanzleramtes zeigt.
Und es ist der größte Tag in der politischen Karriere von Brigitte Ederer, die heute über den Tag des Referendums sagt: »Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben bin ich einen Meter über dem Boden gegangen.«
Brigitte Ederer ist als Tochter einer alleinerziehenden Mutter im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf aufgewachsen. Als sie auf die Welt kommt, gibt es schon einen 7-jährigen Bruder, dessen Vater allerdings schon lange tot ist. Ihrem eigenen Vater ist Ederer nur durch Zufall begegnet, und nur ein einziges Mal.
»Als er gehört hat, dass meine Mutter schwanger ist, hat er sich vertschüsst. Ich kenne meinen Vater daher nicht. Ich habe ihn nur einmal gesehen: Da waren wir mit der Mutti im Prater und haben einen Mann getroffen, der mir – was ich damals sehr nett gefunden habe – fünf Schilling gegeben hat, damit ich mit dem Ringelspiel fahren kann. Als ich meine Mutter gefragt habe, wer das war, hat sie gesagt: ›Dein Vater‹. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich habe ihn nur dieses einzige Mal gesehen.«
Hatten Sie nie Sehnsucht danach, Ihren Vater zu treffen?
»Als ich die Matura gemacht habe, hat er mich angerufen und gesagt, dass er mich gerne kennenlernen möchte, aber das wollte ich n