: Anselm Grün, Bernd Deininger
: Von der verwandelnden Kraft negativer Gefühle
: Vier-Türme-Verlag
: 9783736501034
: 1
: CHF 13.50
:
: Christliche Religionen
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Ausdruck 'Sieben Todsünden' ist irreführend. Nach der katholischen Theologie ist eine Todsünde eine bewusste und absolut freie und eine schwerwiegende Sünde gegenüber Gott. Doch was unter den sieben Todsünden seit dem Mittelalter verstanden wurde, sind Gefährdungen des menschlichen Lebens. Und als Gefährdungen des gelingenden Lebens sind sie auch heute noch modern. Daher haben Bernd Deininger als Psychoanalytiker und Anselm Grün als Mönch sich gemeinsam auf den Weg gemacht, von der psychologischen Seite und von der spirituellen Seite aus einen Blick auf die sieben Todsünden zu werfen. Beide verstehen die sieben Todsünden als Leidenschaften, die den Menschen beherrschen wollen. Doch in ihnen steckt zugleich eine Kraft, die man nicht abschneiden darf. Wir sollen uns - so sagen die frühen Mönche - mit den Leidenschaften vertraut machen, uns ihnen aussetzen, dann werden sie uns bewährter machen. Zunächst beschreibt Bernd Deininger von der Psychoanalyse her die einzelne Gefährdung. Dabei führt er Fallbeispiele an, um konkret aufzuzeigen, wie ein Mensch mit der jeweiligen Gefährdung umgehen kann und wie er die negative Kraft in eine lebensspendende Kraft verwandeln kann. Im Anschluss daran sucht P. Anselm Grün eine spirituelle Antwort auf die jeweilige Gefährdung.

Anselm Grün, geboren 1945, ist Mönch der Abtei Münsterschwarzach und der bekannteste spirituelle Autor in Deutschland. Seine Bücher sind Bestseller. Bernd Deininger ist Chefarzt in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Nürnberg. Ehrenamtlich ist Bernd Deininger Prediger in der evangelischen Kirche.

Anselm Grün

Hieronymus Bosch hat den Neid auf seinem oben schon erwähnten Bild so dargestellt: Da sehen wir eine Straßenszene. Im Vordergrund giert ein Hund trotz zweier Knochen, die er vor sich liegen hat, nach dem Knochen, den ein Bürger in seiner Hand hält. Der Bürger wiederum schaut voller Neid auf den Adligen, dessen Diener einen Sack voller Geld wegträgt. Weder der Hund ist bei sich, noch der Bürger. Alle schielen auf das, was die anderen haben. So kann der Hund seine beiden Knochen nicht genießen. Der Bürger kann die Liebe zu seiner Frau nicht genießen, die neben ihm steht. Er schielt auf den Adligen, der mehr Geld hat. Der Adlige ist jedoch auch nicht glücklich. Er ist neidisch auf den Bürger, der eine Frau hat, während er allein durchs Leben gehen muss, nur von einem Diener begleitet, der ihm aber keine Geborgenheit schenkt, sondern sein Geld wegträgt.

Eine andere interessante Darstellung des Neides stammt von Caspar Meglinger aus seinem Zyklus »Der Lauf der Welt«. Er hat das Bild im Auftrag des Propstes von Beromünster im Jahr 1606 geschaffen und stellt den Triumphzug des Neides dar: Der Neid ist als eine ausgemergelte, hässliche Frau mit Schlangenhaaren dargestellt. Sie isst ihr eigenes Herz, ist also herzlos. Um sie herum sind die Folgen des Neids zu sehen: Ihr Kind ist eine Kriegsgöttin – der Neid ist die Ursache vieler Kriege. Der »Groll« ist ein grimmiger Mann, der das Pferdegespann lenkt. Die Pferde sind mit einem Behang aus Zungen ausgestattet. Die Zungen stehen für die üble Nachrede, die für den Neid typisch ist. Ein Pferd heißt »Raub«, das andere »Verleumdung«. Die Pferde werden begleitet von einer Frau mit einem Blasebalg. Sie wird als »Verwirrung« (lateinisch: perturbatio) bezeichnet. Neben ihr steht die »Unrast« mit einem Uhrwerk in der Hand. Im Vordergrund des Bildes ist eine Frau zu sehen, die ihre Rute erhebt. Sie heißt »Böswilligkeit«. Im Hintergrund werden Neidszenen aus der Bibel dargestellt: Kain und Abel; Josef, der von seinen Brüdern aus Neid in den Brunnen geworfen wird; Salome, die das Haupt Johannes des Täufers trägt; Saul, der neidisch ist auf David, weil er mehr Erfolg hat und bei den Menschen besser ankommt.

Wenn wir die Bilder betrachten, so entdecken wir darin wesentliche Aussagen über den Neid beziehungsweise beschreiben sie den gegenwärtigen Zustand des neidischen Menschen. Sie suchen nicht wie die Psychoanalyse in der Vergangenheit nach den Ursachen. Diese Sicht ist auch typisch für die frühen Mönche, denn Evagrius beschreibt einfach die Leidenschaften und zeigt Wege auf, wie wir mit den Leidenschaften umgehen sollen. Aber er fragt nicht nach den Ursachen in der frühen Kindheit. Wir wissen heute, dass der Blick in die Kindheit uns erklären kann, warum ein Mensch neidisch geworden ist. Der Blick in die Vergangenheit hilft uns, uns selbst nicht zu verurteilen, wenn wir vom Neid bedrängt sind. Er will uns verstehen lassen, warum wir so sind, wie wir sind. Wenn wir uns selbst verstehen, können wir auch zu uns stehen. Und das ist die Bedingung, uns selbst und unsere Emotionen zu verwandeln.

Manchmal kann der Blick in die Kindheit uns aber auch davon abhalten, uns jetzt mit der Leidenschaft zu beschäftigen und angemessen darauf zu reagieren. Daher sind beide Blickweisen legitim: der Blick in die Vergangenheit, um zu verstehen, warum und wie wir geworden sind, und der Blick in die Gegenwart, um zu verstehen, wie der Neid wirkt und wie wir damit umgehen können.

Das Bild von Caspar Meglinger sagt uns etwas Wesentliches über die Natur des Neides: Der neidische Mensch frisst sein eigenes Herz auf. Er hat die Verbindung zu seinem Herzen verloren und wird so herzlos. Er schadet sich selbst. Der neidische Mensch wird oft als hässlich dargestellt, denn letztlich hasst er sich selbst. Er ist nicht bei sich, sondern muss sich ständig mit anderen vergleichen. Er kann das Leben nicht genießen. Vom neidischen Menschen gilt, was Joseph Epstein einmal so formuliert hat: »Der Neid ist die einzige To