: Dominik Prantl
: Gebrauchsanweisung für Namibia 2. aktualisierte Auflage 2019
: Piper Verlag
: 9783492991841
: 1
: CHF 11.00
:
: Afrika
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Er war im Süden und im Westen Afrikas unterwegs, in der Mitte und im Osten, doch keine Destination hat es Dominik Prantl so sehr angetan wie Namibia. Dessen Historie eng mit Deutschland verbunden ist und das sich von Windhoek bis zur Skeleton Coast, von der Kalahari bis zum Etosha-Nationalpark erstreckt. In dem man sich nicht nur auf Safaris und Wüstenromantik, sondern ebenso auf nachhaltigen Lodge-Tourismus versteht. Das neben den Big Five auch die Little Five mit dem Tok-Tokkie zu den Stars der Tierwelt zählt. Und wo heute noch Bier nach deutschem Reinheitsgebot gebraut wird. Mit Neugier und Scharfsinn fügt der Autor seine Begegnungen mit den Einwohnern, denen ihr Land oft selbst ein Rätsel ist, zu einem lebendigen Kaleidoskop zusammen.

Dominik Prantl, Jahrgang 1977, zog es schon während seines Studiums der Wirtschaftsgeografie zu den Straßenküchen in fernen Ländern. Noch länger schreibt der Journalist und Autor für die Süddeutsche Zeitung, seit 2005 vor allem für den Reiseteil und über Berge. Als Kontrastprogramm reist er seit 15 Jahren regelmäßig nach Namibia und ist nach jedem Besuch ein bisschen mehr davon überzeugt, dass ein Menschenleben viel zu kurz ist, um alle Facetten dieses Landes zu durchdringen. Von ihm erschien zuletzt das erfolgreiche »Gipfelbuch«. Er lebt mit seiner Familie in Innsbruck und arbeitet in München.

Tur Tur

Zeit und Raum kennenlernen

Wenn ich in Namibia ankomme, was ich für mein Empfinden zu selten tue, oder nur an Namibia denke, was ich wahrscheinlich zu oft mache, fällt mir immer wieder Herr Tur Tur ein. Herr Tur Tur ist eine dieser fabelhaften Figuren ausJim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, dem Kinderbuch von Michael Ende. Herr Tur Tur lebt zurückgezogen am »Ende der Welt«, einer riesigen Wüste zwischen dem menschenunfreundlichen Streifengebirge »Krone der Welt« und der noch menschenunfreundlicheren Drachenstadt »Kummerland«, der Heimat des fiesen Drachenweibs Frau Mahlzahn. Dabei ist Herr Tur Tur eigentlich ein ziemlich guter Typ, nur leider sehr einsam und auch traurig, denn er ist ein Scheinriese. Das heißt, er wirkt aus der Distanz unheimlich groß und so furchterregend, dass sich ihm kein Mensch nähern möchte. Wer allerdings auf ihn zugeht, stellt bald fest, wie er mit jedem Schritt ein wenig kleiner wird. In Wirklichkeit ist er sogar einen halben Kopf kleiner als Lukas der Lokomotivführer.

Namibia ist ebenfalls ein Scheinriese, der Herr Tur Tur der Länderkunde. Bei einem Blick auf die Landkarte ist es schließlich kaum zu übersehen. Natürlich ist das Land nicht so furchterregend weitläufig wie, sagen wir, Russland, in das Namibia zwanzigmal hineinpassen würde, oder China, das immer noch mehr als elfmal so groß ist. Doch ist Namibias Fläche größer als jene von Deutschland, Polen, Österreich und der Schweiz zusammengenommen: rund 825.000 Quadratkilometer. Auf der Liste der größten Länder liegt es im vorderen Sechstel, weit vor Europas Länderhünen Spanien oder Frankreich. Von Katima Mulilo im Nordosten an der Grenze zu Sambia bis hinunter nach Oranjemund im Südwesten des Landes sind es mehr als 2000 Autokilometer, ungefähr so viele wie von Flensburg nach Neapel. Schon die immer vor allem im Norden des Landes beheimateten Ovambo-Könige sollen das heutige Namibia die Region der »unbegrenzten Freiheit« genannt haben, und die Deutschen verloren sich während der kurzen Kolonialzeit zwischen 1884 und 1915 regelmäßig darin. Das WortNamib entstammt wiederum der Nama-Sprache und heißt so viel wie »die Weite der Landschaft«.

Trotz dieser Größe und Weite gibt es sehr viele Menschen, die kaum etwas über das Wüstenland am Ende der Welt wissen. Das ist keine Schande, ehrlich, wahrscheinlich ist es sogar eher die Regel als die Ausnahme. Das Land hat sich irgendwie der allgemeinen Wahrnehmung entzogen. Ich selbst hielt mich als Student für einen vielversprechenden Afrikaexperten und war während einer Prüfung der Überzeugung, das Land habe seine Unabhängigkeit in der afrikanischen Dekolonisationsphase der frühen 1960er-Jahre erreicht. Das lässt sich mit einem Gemüsehändler vergleichen, der sich zwar eine Menge auf sein Grünzeug einbildet, Okra aber dennoch für einen Schwertwal hält. Nachdem ich wenig später meine Diplomarbeit über Namibia geschrieben und diverse Ecken des Landes bereist hatte, war mir das selbstverständlich auch angemessen peinlich. Ich kann heute nur deshalb mit nachlassendem Schamgefühl darüber schreiben, weil ich genau weiß, dass es Menschen gibt, die freilich noch viel weniger über Namibia wissen.

Man muss dabei gar nicht unbedingt ein flegelhaftes Trampeltier wie Donald Trump und seine Rede über »Nambias« Gesundheitssystem bemühen. Bis heute ist nicht ganz klar, ob er Gambia oder Namibia meinte und statt des Gesundheitssystems vielleicht doch eher die gesunde Natur. Aber wie gesagt: Der Mann ist nicht allein. Eine meiner durchaus weit gereisten und geschätzten Kollegin