Mittwoch
Der Feldweg war erst kürzlich asphaltiert worden. Er zog sich als hellgraues Band durch die herbstbraunen Felder. In der späten Nachmittagssonne glitzerte er wie ein kleiner Fluss.
Bienzle hatte seinen Dienstwagen in einer Parkbucht an der Bundesstraße stehen lassen und ging – die Hände auf dem Rücken verschränkt – den schmalen Weg entlang. Ein Traktor kam ihm entgegen, am Steuer ein alter Mann mit einem vielfach durchfurchten Gesicht. Die Schirmmütze hatte er in die Stirn gedrückt, um sich gegen die tief stehende Sonne zu schützen. Er tippte im Vorbeifahren lässig mit dem Zeigefinger an den Mützenschirm. Bienzle nickte ihm zu wie einem alten Bekannten. Auf dem Anhänger lag ein Güllefass. In den nächsten Tagen sollte es Regen geben. Da war es gut, die Jauche noch vorher auf die Felder zu bringen, damit sie dann ordentlich ins Erdreich gewaschen wurde. Das Güllefass hinterließ eine dünne Spur aus braunen Tropfen.
Der betonierte Feldweg war mit alten Apfelbäumen gesäumt. Deren Jahre waren freilich gezählt; denn weiter hinten, dort, wo sich die Felder zur Murr hin senkten und statt der Obstbäume Erlen standen, wurde ein neues Baugebiet erschlossen – in bester Lage, zwei Minuten zur S-Bahn-Haltestelle Weisangen. Von dort kam man in dreiundzwanzig Minuten in die Stuttgarter Innenstadt. Sie würden den Feldweg aufs Dreifache verbreitern, dann mussten die Obstbaumveteranen garantiert dran glauben. Der Feldweg hatte deshalb wohl auch schon einen Namen. »Züricher Straße« stand da auf einem nagelneuen Straßenschild. Bienzle dachte an einen Lieblingsspruch seines Vaters: »Wenn einer höher furzt, als ihm der Arsch gewachsen ist, fällt er leicht auf denselben.«
Erst in den letzten Tagen hatte er einen Text von Peter Bichsel gelesen: »In Langnau im Emmental gab es ein Warenhaus. Das hieß ›Zur Stadt Paris‹. Ob das eine Geschichte ist?« Überschrieben war der Text mit »Sehnsucht«.
An einem der Apfelbäume hing noch eine goldgelbe Frucht. Goldparmäne, erinnerte sich Bienzle. In Dettenhausen, wo er geboren war, hatten sie auch immer einen letzten Apfel auf dem Baum gelassen, damit der auch im nächsten Jahr wieder reichlich trage. Selbst wenn’s die Bauersleute nicht so genau nahmen und die »Afterberger« – wie hierzulande diejenigen hießen, die übersehene Früchte ernteten – den Rest pflückten, blieb ein letzter Apfel »für Gott« am Baum.
Bienzle fiel die Geschichte ein, die sein Vater in einer seiner Schulklassen erlebt hatte. Er hatte den Kindern die Frage gestellt, was mit dem Apfel im Paradies geschehen sei. Der kleine Hans Nestel wusste es zwar nicht, aber er konnte es sich denken. »Den hent’s Gotts gmoschtet«, antwortete er nach kurzem Nachdenken. Zu Deutsch etwa: »Den hat die Familie Gott zu Most verarbeitet.« Das ganze Lehrerkollegium hatte später darüber gelacht, und Bienzles Vater hatte unter der Rubrik »Religion« eine Eins für Hans Nestel in sein Notizbuch gemalt.
Unzertrennlich waren sie gewesen – der Hans Nestel, der Ernst Bienzle und der Paul Stricker. Gegen Stricker ermittelte er nun. Bienzle trat wütend gegen einen Stein. Hätte das nicht ein anderer machen können? Es war ohnehin schon eine Schikane des neuen Präsidenten, ihm diese Ermittlungen zu übertragen – Subventionsbetrug zum Nachteil derEG. Ausgerechnet ihn, der immer dann am besten war, wenn es um Menschen ging, hatte man mit Aktenbergen eingesperrt. Zäh und verbissen hatte er die Subventionsrichtlinien studiert, internationale Wirtschaftsverflechtungen aufgedröselt, regionale, nationale und europäische Förderprogramme auswendig gelernt. Wenn es denn schon sein musste … Sein Vater hatte immer gesagt: »Geht nicht gibt’s nicht!« Und nach der Devise hatte Ernst Bienzle selbst dann noch gearbeitet, als er schon Po